Mütter verdienen eine Bühne – und zwar nicht nur heute, sondern 365 Tage im Jahr. Genau das machen Nicole Noller und Natalie Stanczak. Im letzten Jahr haben sie das Projekt „Faces of Moms*“ gegründet. In kurzen Interviews stellen sie Müttern die gleichen drei Fragen: Was ist deine größte Herausforderung? Welches dein größter Abfuck? Und was würde dir helfen?
Auf diese Weise haben Nicole und Natalie eine Plattform geschaffen, die zeigt, wie verschieden Mutterschaft aussehen kann. Sie zeigt aber auch wie sehr Mütter noch in ihren Rollen gefangen sind und sich gesellschaftlichen Erwartungen anpassen müssen.
Am Muttertag drehen wir den Spieß um und sprechen mit Nicole und Natalie über Mutterschaft, Care-Arbeit und den besten Rat ihrer Mutter.
Vor etwa einem Jahr habt ihr das Projekt „Faces of Moms*“ gegründet. Was hat euch dazu gebracht, Müttern eine Plattform zu geben?
Nicole Noller: Uns hat unser eigener daily struggle – Kinder, Familie, Arbeit, Partnerschaft und auch sich selbst in Einklang zu bringen – veranlasst, Faces of Moms* zu gründen, weil wir eben immer wieder daran „scheitern“. Es ist eine riesige Herausforderung, Vereinbarkeit zu leben und wir wissen, dass es ganz vielen Müttern genauso geht und die warten nur darauf, endlich mal gehört zu werden.
Ihr seid beide Mütter: Auf welche gesellschaftlichen Vorurteile und Klischees seid ihr gestoßen, als ihr Kinder bekommen habt?
Natalie Stanczak: Die krassesten Vorurteile bekomme ich, wenn ich Lohnarbeiten gehe und zwar von beiden Parteien. Auf der einen Seite von Menschen in meinem Arbeitsumfeld, die fragen, wo meine Kinder denn sind und auf der anderen Seite aus dem privaten Kreis, wie ich denn arbeiten könne und ob ich meine Kinder denn überhaupt liebe, wenn ich sie in den Kindergarten „stecke“.
“Mütter sollten das Recht haben, ihren eigenen Weg zu gehen.”
Für euer Buch „Bis eine* weint“ habt ihr mit 17 verschiedenen Müttern gesprochen. Ob Muslima, queer, Mom of Color, Hauptverdienerin oder Vollzeit-Mutter – in den Interviews kommen viele verschiedene Mütter zu Wort. Was habt ihr aus den Gesprächen für euch mitgenommen, inwiefern hattet ihr neue Erkenntnisse?
Nicole Noller: Die Gespräche mit den Müttern aus unserem Buch haben uns darin bestärkt, dass es nicht die Mutterrolle gibt, sondern, dass jede einzelne Mutter ihren Weg geht und, dass es gut so ist, wie sie den Weg individuell bestreiten – egal, in welcher Konstellation sie leben. Umso mehr kam bei uns auch die Erkenntnis, dass Mütter auch das Recht haben sollten, ihren eigenen Weg zu gehen. Diese Individualität muss gesellschaftlich anerkannt und auch politisch gefördert werden.
Warum müssen wir aufhören, Müttern die Frage zu stellen, wie man Beruf und Familie und einen Hut bekommt?
Natalie Stanczak: Ich denke, wir sollten nicht Mütter fragen, wie Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen ist, sondern die Politik, denn meiner Meinung nach ist es nicht machbar. Wir sollten dabei nicht von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sprechen, sondern vor allem über die Herausforderungen der Vereinbarkeit.
“Care-Arbeit ist alles, was unsere Gesellschaft trägt.”
Welches Thema sollte mehr Aufmerksamkeit bekommen, wenn öffentlich über Mutterschaft und Mütter gesprochen wird?
Natalie Stanczak: Unserer Meinung nach, sollte es mehr Aufmerksamkeit bekommen, dass Mütter strukturell benachteiligt werden. Das heißt, dass sie auf Grund dessen, dass sie Mütter sind, strukturelle Ungleichheit erfahren. Das zeigt sich z. B. darin, dass sie eher in Teilzeit arbeiten, weniger Geld verdienen und dass sie eher in Altersarmut fallen. Solche Prozesse sind eben nicht individuell bedingt, sondern strukturell in unserer Gesellschaft verankert. Wir stehen dafür, dass diese strukturelle Ungleichheit anerkannt wird und Care-Arbeit mehr wertgeschätzt wird, weil sie nämlich alles ist, was unsere Gesellschaft trägt.
Was können Unternehmen tun, um Müttern die Arbeit zu erleichtern und welche Forderungen stellt ihr an die Politik?
Nicole Noller: Uns würde mehr Flexibilität helfen, gerade in den Bereichen, Stunden- und Präsenzarbeitszeit bzw. remote zu arbeiten, in den Bereichen, in denen es möglich ist, aber auch Flexibilität in Bezug auf die Kinderbetreuung. Wenn die Erzieher*innen besser bezahlt werden und die Strukturen der Kinderbetreuung flexibler ausgebaut werden können, hat das natürlich auch einen positiven Effekt auf die Arbeitnehmer*innen. Unsere politische Forderung ist in erster Linie die Anerkennung und politische Aufarbeitung der strukturellen Ungleichheit. Dazu zählen zum Beispiel die Abschaffung des Ehegatten-Splittings, das statusabhängige Elterngeld bzw. die Elterngeld-Berechnung oder der nicht vorhandene Vaterschutz.
Wenn ihr an eure eigenen Mütter denkt: Welches Mutterbild haben sie euch mitgegeben?
Nicole Noller: Meine Mutter hat, als wir klein waren, in Teilzeit gearbeitet und die komplette Care-Arbeit übernommen – den Haushalt, die Betreuung von uns Kindern, aber auch die Betreuung unserer bedürftigen Angehörigen. Damit hat sie mir auf jeden Fall sehr viel Energie, Biss und Durchhaltevermögen mitgegeben.
Natalie Stanczak: Ich glaube, meine Mutter hat mit einem ähnlichen Paradox gelebt: zum einen das polnische, traditionelle Mutterbild und zum anderen Alleinerziehend zu sein, was sich ja per se ausschließt. Dadurch bin ich mit einem sehr emanzipierten Mutterbild aufgewachsen. Unabhängig zu sein und für sich einzustehen, für sich zu kämpfen und eben auch das eigene Geld zu verdienen, das sind wichtige Werte für mich. Und das steht natürlich auch super krass im Kontrast zum traditionellen Mutterbild hier in Deutschland.
“Es ist erlaubt, dass es einen auch mal nervt.”
Was ist der beste Rat, den euch eure Mütter gegeben haben?
Natalie Stanczak: Der beste Rat, den mir meine Mama gegeben hat, war damals, als ich mit meinem Sohn heulend vor ihr saß und einfach nicht mehr konnte: „Natalie, wenn du 24 Stunden, 7 Tage die Woche fotografieren müsstest, würde dich das doch auch ankotzen, oder? Lass es raus. Es ist erlaubt, dass es einen auch mal nervt.“
Inwiefern spielt der Muttertag eine besondere Rolle für euch?
Nicole Noller: Natürlich freue ich mich über Geschenke – 365 Tage im Jahr. Das schönste Geschenk wäre aber, wenn sich alle zusammen mit Müttern solidarisieren und gegen Diskriminierung ankämpfen würden anstatt verzweifelt nach Blumen an der Tanke zu suchen.
Ihr seid begeistert von „Faces of Moms*“? Dann lohnt sich ein Blick in das Buch „Bis eine* weint! – Ehrliche Interviews mit Müttern zu Gleichberechtigung, Care-Arbeit und Rollenbildern“ von Natalie und Nicole.
Beitragsbild und Autorinnenfoto: Natalie Stanczak // Sandsack Fotografie