Wir leben in einer schnelllebigen Zeit, in der Veränderungen an der Tagesordnung sind. Daher kommt auch die Rede von der „VUKA-World“, also einer Welt, die sich durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz kennzeichnet. Allen voran zeigen sich diese Änderungen in der Arbeitswelt, dem Arbeitsmarkt und den Ansprüchen der Mitarbeitenden. Ganz klar: Dieser Wandel wirkt sich auch auf das Verständnis von Leadership aus. Klassische Führungsrollen müssen sich darum diesen Veränderungen anpassen. Für mich bedeutet das, dass es Zeit braucht zum Zuhören, gegenseitiges Vertrauen sowie aktive Unterstützung, Inspiration und Entwicklung von Mitarbeitenden. Nur so können wir erfolgreich mit Herausforderungen der hybriden Arbeitswelt, dem Fachkräftemangel sowie dem Skill-Shift durch fortschreitenden Digitalisierung umgehen.
Auf dem Weg in die neue, hybride Arbeitswelt
In den vergangenen zwei Jahren haben wir einen Vorgeschmack darauf bekommen, worauf es bei einem radikalen Veränderungsprozess ankommt und wie die zukünftige Arbeitswelt aussehen könnte. Vor der Pandemie waren wir alle hervorragende Office-Arbeiter*innen. Während der Pandemie sind wir dann alle zu hoch-professionellen Mobil- und Remote-Arbeiter*innen geworden. Nun sind wir in einer neuen Situation, einer neuen Lernphase angekommen. Heute geht es vor allem darum, das hybride Arbeiten zu erlernen, was wahrscheinlich noch viel komplexer ist als diese zwei Phasen, die wir vorher hatten.
Die Employee Experience muss ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken
Ich glaube, es führt kein Weg daran vorbei, dass Unternehmen in Zukunft die Mitarbeiter*innen in den Mittelpunkt ihrer Strategie und Organisation stellen. Da sich die Bedürfnisse und Ansprüche der Mitarbeitenden an ihre*n Arbeitgeber*in grundlegend verändert haben, können Unternehmen angesichts des Fachkräftemangels und der immensen Herausforderungen, die sich ihnen durch die Digitalisierung stellen, gar nicht anders, als sich hier neu aufzustellen. Genau aus diesen Gründen legen wir bei Atruvia auch den Fokus auf die „Employee Experience“. Mit dem Modell der Employee Experience, in dem wir alle Touchpoints zwischen den Menschen und dem Unternehmen zusammengeführt haben, verfolgen wir das Ziel, alle Kräfte zu bündeln und den Menschen ganzheitlich zu unterstützen. Denn darum geht es doch im Kern. Organisationen müssen die 7 Sinne des Menschen adressieren und nicht mehr nur den Kopf. Darum plädiere ich dafür, einen konsequenten Human- oder Employee-Experience-Ansatz umzusetzen. Dazu gehört auch, dass Führungskräfte die Eigenverantwortung von Teams und Mitarbeitenden stärken. Sie müssen lernen, Macht abzugeben und Transparenz und Vernetzung zu fördern. Mitarbeiter*innen benötigen auf der einen Seite mehr Freiheit und mehr Freiräume. Gleichzeitig braucht es auf der anderen Seite das Vertrauen der Führungskräfte in dezentrale Entscheidungen am Ort der entsprechenden fachlichen Kompetenzen. Das heißt aber auch, dass die Fachkenntnisse der Mitarbeitenden gestärkt werden müssen, damit sie vermehrt in der Lage sind, Entscheidungen selbstverantwortlich zu treffen. Statt „Command & Control“ werden die Mitarbeiter*innen auf diese Weise partizipativ in unternehmerische Entscheidungen involviert.
Ein neues Verständnis von Führung
Was heißt es aber nun ganz konkret, die Rahmenbedingungen für eine neue Arbeitswelt zu schaffen? Ich glaube, wenn es eine Lektion gibt, die wir aus den Erfahrungen während der Pandemie für die Arbeitswelt mitgenommen haben, dann doch, dass Vertrauen eine enorm wichtige Basis für das virtuelle Führen ist. Vertrauen in die Teams und in die Menschen halte ich darum für eine essenzielle Voraussetzung für das Gelingen des Wandels.
Auf einer organisatorischen Ebene werden diese Veränderungen nur möglich durch ein Wegbewegen von der klassischen Führungsrolle hin zu einer Rolle als Coach, Mentor*in und Sparringspartner*in. Gebraucht werden Funktionsträger*innen, die auf Augenhöhe mit den Mitarbeitenden agieren.
Darüber hinaus müssen wir zu einer ganz anderen Form von Führung übergehen. Einer Führung, die nicht mit Anwesenheit zu tun hat, sondern die sich an den Ergebnissen und an den Zielen orientiert. Das heißt, wir müssen von Fragen wie „Wie mache ich es?“ oder „Wo arbeite ich?“ hin Fragestellungen kommen: „Warum mache ich etwas?“ und „Wie sieht das Ergebnis aus“. Die Wahl des Arbeitsorts, der Arbeitszeit und der Vorgehensweise wird den Mitarbeitenden überlassen, die selbständig überlegen, wann, wo und wie sie zu diesen Zielen kommen.
Darauf kommt es künftig bei der Kommunikation von Führungskräften an
Insbesondere im Kontext der virtuellen Führung – aber auch für die zukünftige Arbeitswelt – ist es überdies wichtig, dass die Menschen im Unternehmen eine gemeinsame Vision haben, gemeinsame Ziele verfolgen und das Warum, das hinter diesem Ziel steht, verstehen. Hier kommt der Kommunikation ein essenzieller Stellenwert zu. Allen voran muss das Warum stärker in den Fokus gerückt werden. In der Kommunikation spielen Werte, wie zum Beispiel Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz und die Kultur eine besondere Rolle. Gerade in der hybriden Arbeitswelt, in der nicht mehr alles an einem Ort geschieht, ist es wichtig, auf eine zeitliche Nähe der Kommunikation zu Ereignissen oder neuen Themen zu achten. Das gilt besonders für unangenehme Themen. Eine schnelle, ehrliche und authentische Kommunikation sorgt für die Klärung schwieriger Situationen, und schafft Vertrauen zwischen den Führungskräften und den Teams.
New Leadership braucht eine neue Rollenverteilung
Welche Konzepte, Maßnahmen und Prinzipien sich am Ende durchsetzen und zum Erfolg führen, ist aus heutiger Perspektive noch offen. Klar ist, dass Unternehmen schon jetzt eine Vorstellung von New Leadership entwickeln und erproben müssen, um Erfahrung damit zu sammeln und daraus zu lernen.
Bei Atruvia haben wir uns unter anderem für die Trennung fachlicher und disziplinarischer Führung entschieden (Tribe Leads und People Leads). Zu den Aufgaben der Tribe und People Leads gehören insbesondere die Schaffung der Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Arbeiten der Mitarbeitenden sowie deren persönliche und fachliche Weiterbildung.
Die People Leads konzentrieren sich vollkommen auf die disziplinarische Führung und Entwicklung der Mitarbeitenden, während die Tribe Leads ihre Teams bei fachlichen Themen unterstützen. Auch ermöglicht das Führungsmodell mehr Vielfalt in den Führungsrollen. Durch die Gliederung der Leadership-Funktionen in zwei Rollen werden Führungspositionen für Personen in besonderen Lebensumständen leichter zugänglich gemacht. Führungskräfte, die beispielsweise Zeit für die Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen benötigen und darum diese Funktion in Teilzeit ausüben, müssen in der neuen Arbeitswelt zur Selbstverständlichkeit gehören. Einen besonderen Stellenwert haben hier Fachfunktionen, diese sind den Leadership Rollen gleichgestellt und stellen sicher, dass bei Unternehmensentscheidungen auch die Fachexpertise involviert ist.
Das neue Selbstverständnis der Führungskräfte der Zukunft
Solche konzeptionellen und organisatorischen Entwicklungen sind das eine. Begleitet werden muss dieser Prozess zu guter Letzt jedoch auch durch eine individuelle Weiterentwicklung der Führungskräfte bzw. ihres Führungsstils. Wichtige Eigenschaften sind dabei Experimentierfreudigkeit, Fehlertoleranz, Offenheit und Neugier. Ich persönlich richte mein Verständnis von New Leadership an drei Dimensionen aus. Erstens verstehe ich mich im Sinne des „Servant Leadership“ ein Stück weit als Dienstleister. Das heißt, ich trage Sorge dafür, dass mein Team die Rahmenbedingungen hat, die es braucht, um gut zu arbeiten. Zweitens leitet mich das Prinzip der Transformation. In einer sich verändernden Welt ist es für mich als Führungskraft sehr wichtig zu helfen, dass sich die Menschen mit ihr verändern. Einerseits sind also die Weiterentwicklung und Inspiration von Menschen ein großes Thema für mich und andererseits die Aufgabe, neue Themen anzugehen und den Freiraum dafür zu schaffen. Die dritte Dimension ist das, was wir bei Atruvia unter dem Stichwort „Agile Leadership“ leben. Agilität meint beispielsweise die Fähigkeit, zwei Dinge parallel zu tun – also, das bestehende Geschäftsmodell zu optimieren und gleichzeitig neues anzugehen.
Die Rolle von mir als Führungskraft besteht darin, dabei ein Sparringspartner für die Teams zu sein und sie in ihrer Eigenverantwortung der Selbstführung zu unterstützen. Diese drei Dimensionen – Servant Leadership, Transformational Leadership und Agile Leadership – liefern für mich die zentralen Eckpunkte, die New Leadership ausmachen und den Erfolg in der neuen Arbeitswelt mitbestimmen.
Jörg Staff ist Vorstand People & Business Services der Atruvia AG, sowie Aufsichtsrat, Beirat und Investor. Er absolvierte ein Studium der Betriebswirtschaft sowie einen Master of Business Administration (MBA). Vor der aktuellen Position berichtete er über 20 Jahre direkt an CEOs und Vorstände führender Unternehmen in der IT-Industrie (SAP AG), Logistik (Deutsche Post/DHL) und der Automobilindustrie (Daimler AG). Über 40.000 Leser*innen kennen seine Blogs im Human Resources Manager Magazin. 2021 wurde Jörg Staff von einer Jury zu den 40 führenden HR-Köpfen im deutschsprachigem Raum und von den Lesern des personalmagazins zum „CHRO of the Year“ gewählt. 2022 schaffte er es in das Ranking der weltweit „Top 200 Biggest Voices in Leadership“ von leadersHum.