Leitha Matz hat den größten Teil ihrer Karriere in den USA verbracht und in verschiedenen Start-up-Unternehmen gearbeitet. Jetzt lebt sie in Berlin, ist Mentorin und Beraterin von Start-ups und Mitgründerin von finmarie, der Finanzplattform von Frauen für Frauen. In einem kleinen Unternehmen mangelt es bekanntlich nie an Dingen, die es zu tun gibt, aber Leithas Hauptaugenmerk liegt darauf, das Technologie-Produktteam zu leiten und mich bei finmarie um die Skalierung zu kümmern. Mit ihr haben wir über ihre Erfahrung bei der Gründung von finmarie gesprochen, über Diversity und Women in Tech sowie die neue App finmarie Finanzmanagerin und vieles mehr…
Liebe Leitha, erzähle uns bitte etwas über Deine Geschichte und was Dich dazu gebracht, finmarie mitzugründen?
Leitha: Ich habe Technologieprojekte für Medienunternehmen sowie in den Bereichen E-Commerce, Food Delivery und Datenmanagement entwickelt. All diese Projekte waren durchaus wichtig, aber ich kam an einen Punkt in meiner Karriere, an dem ich mich auf etwas konzentrieren wollte, mit dem ich das Leben der Menschen wirklich zum Besseren verändern könnte.
Mir wurde klar, dass Frauen insbesondere finanzielle Sicherheit brauchen, um wirklich selbstbestimmt Entscheidungen in ihrem Leben zu treffen – wenn es zum Beispiel darum geht, sich von schlechten Chefs zu trennen, sich aus repressiven Partnerschaften zu lösen oder ein gefährliches Umfeld zu verlassen. Es ist wichtig, dass wir diese Form der Sicherheit aufbauen, weil wir Ressourcen brauchen, um unsere Familien zu unterstützen und für den Ruhestand vorzusorgen.
Zudem bin ich davon überzeugt, dass finanzielle Unabhängigkeit Frauen die Möglichkeit gibt, in der Gesellschaft und ihren Communitys eine Stimme zu haben und ‚Ja‘ zu Chancen zu sagen. Zum Beispiel kann der Zugang zu Geld einer Frau ermöglichen, umzuziehen, ein Unternehmen aufzubauen oder ein Projekt zu unterstützen, an das sie glaubt. In diesem Zusammenhang entdeckte ich dann auch, dass die UNO die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen als einen enormen Gewinn für Gemeinschaften und die gesamte Volkswirtschaft identifizierte.
Was würdest Du sagen, ist die Mission von finmarie? Und warum ist es überhaupt wichtig, eine speziell auf Frauen ausgerichtete Plattform für finanzielle Bildung und Investments zu haben?
Leitha: Unsere Mission ist es, Frauen dabei zu helfen, ihre finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Das ist zwar ein recht weit gefasstes Ziel, aber wir glauben, dass insbesondere Frauen mit viel höheren Rate anfangen müssen zu investieren.
Die meisten werden sich schon vom Gender-Pay-Gap zwischen Männern und Frauen gehört haben; die Investitionslücke ist jedoch mindestens genauso groß. Vor allem in Deutschland legen Frauen ihr Geld eher auf Girokonten an. Wir schätzen, dass es Frauen im Laufe ihres Lebens etwa eine Million Euro kostet, wenn sie sparen, statt zu investieren. Und etwa 75 Prozent der Frauen in Deutschland erhalten heute eine monatliche Rente von 400 € oder weniger. EU-weit sind über 200 Millionen Frauen von Lohn- und Rentenlücken betroffen.
Trotzdem haben Studien gezeigt, dass Frauen großartige Investorinnen sind. Sie sind geduldig und recherchieren gründlich. Unser Team hat festgestellt, dass die Mehrheit der Frauen bereit ist zu investieren, wenn sie mit den richtigen Botschaften und Lösungen angesprochen werden.
Was sind die größten Herausforderungen für Frauen, wenn es ums Investieren und das Erlangen von finanzieller Freiheit geht?
Leitha: Es gibt sicherlich einige Hürden durch die äußeren Rahmenbedingungen. Da Frauen in der Regel viel Verantwortung für die Kindererziehung und die Betreuung älterer Familienmitglieder tragen, haben sie tendenziell mehr Arbeitslücken und benötigen darum mehr Liquidität als Männer, wenn es ums Investieren geht.
Gleichzeitig verdienen Frauen weniger Geld: Das Lohngefälle in Deutschland beträgt etwa 18 Prozent. Man kann sich also leicht vorstellen, welchen Wohlstand Frauen aufbauen könnten, wenn es dieses Gefälle nicht gäbe.
Wir sehen aber auch, dass Frauen, selbst wenn sie von diesen externen Faktoren nicht betroffen sind, oft an ihrer Investitionsfähigkeit zweifeln und Investitionen oft hinauszögern, weil sie sich nicht sicher fühlen, ob sie anfangen können. Neben der Arbeitslücke und dem Gender-Pay-Gab ist quasi die dritte Lücke: die Selbstvertrauenslücke.
Der jüngste Meilenstein bei finmarie ist der Launch Eurer App namens finmarie Finanzmanagerin. Erzähl uns ein bisschen davon! Was können Frauen erwarten, wenn sie die App herunterladen?
Leitha: Wir konzentrieren uns darauf, einen anderen Ansatz zu verfolgen als einige der großen Handelsplattformen. Von unseren Kundinnen wissen wir, dass sie sich einfach verloren, überfordert oder unmotiviert fühlen, wenn sie sich für traditionelle Finanzdienstleistungen entscheiden.
Unser Fokus liegt darum darauf, ein kundenorientierte Technologie auf Smartphones und Desktops bereitzustellen, mit der wir Frauen einen Zugang zu dem verschaffen, was ihnen fehlt: Bildung, Inspiration, Unterstützung durch Gleichgesinnte und unsere Expertinnen sowie einfache Anlageoptionen, die zu ihrem Leben und ihren Vorlieben passen.
Im Bemühen um Transparenz machen wir auch unser eigenes finanzielles Leben und das anderer Frauen zugänglich: Wie viel verdienen wir? Wie planen und wie investieren wir, was wir haben? Was sind unsere Hoffnungen für die Zukunft und was aus der Vergangenheit bereuen wir?
Richtet sich die finmarie Finanzmanagerin ausschließlich an Frauen oder können auch Männer von der Nutzung profitieren, wenn sie die App und die Services nutzen?
Leitha: Unsere App und unsere Dienstleistungen sind definitiv darauf ausgerichtet, dass sich Frauen wohl und selbstbewusst fühlen. Aber es gibt keinen Grund, warum Männer keinen Mehrwert daraus ziehen könnten. Ehrlich gesagt arbeiten wir auch mit kleinen und mittelständischen Unternehmen zusammen und hatten viele Männer, die unsere Workshops und Beratungen sehr gerne nutzen.
Neben dem Thema Bildung ist das Investieren ein Schwerpunkt der neuen finmarie-App. Wie funktioniert das Investieren mit der finmarie Finanzmanagerin genau?
Leitha: Mit der finmarie-App auf dem Handy oder dem Tablet können Frauen ein Anlageprofil erstellen und Empfehlungen erhalten, worauf sie sich basierend auf ihren Vorlieben und ihrem Zeithorizont konzentrieren sollten.
Wir nutzen Partnerschaften mit Unternehmen, denen wir vertrauen und die wir empfehlen: Vividam ist ausschließlich im Bereich nachhaltige Investments; Smart Broker ist zugleich einer unserer Investoren und bietet zudem ein günstiges Depotkonto sowie eine breite Handelsplattform an. Mit „Anlagefreundin“ haben wir auch unser eigenes Anlagetool, eine Robo-Advisor-Lösung, die das Risikoprofil und die persönlichen Timing-Präferenzen berücksichtigt. Unser Hauptfokus liegt darauf, einen Mehrwert zu schaffen, daher hängt unsere Empfehlung immer davon ab, was unsere Nutzerinnen braucht und will.
Und natürlich bevorzugen manche Menschen immer eine persönliche Note anstelle eines digitalen Tools. Daher ist es auch einfach, eine unserer Masterclasses oder 1-zu-1-Beratungssitzungen mit unseren zertifizierten Finanzcoaches zu buchen.
Wie sieht die Zukunft der finmarie Finanzmanagerin aus und was erwartet uns als Nächstes?
Leitha: Wie bei jedem Technologieprodukt ist der Moment der Markteinführung wirklich nur der Anfang einer Entwicklung. Wir haben erfahren, dass einige unserer Nutzerinnen den Desktop dem Smartphone vorziehen, daher planen wir, die gleiche Funktionalität als Nächstes für den Desktop hinzuzufügen, und dann werden wir in den nächsten sechs bis neun Monaten weitere Produkte und Dienstleistungen zur finmarie Finanzmanagerin hinzufügen.
Zusammen mit Karolina hast Du auch „Mind the Gap“ gegründet – eine gemeinnützige Organisation, die Frauen über finanzielle Freiheit und das Thema Geschlechterungleichheit im Finanzwesen aufklärt – was waren einige wichtige Erkenntnisse oder Erkenntnisse, die Du daraus gewonnen hast?
Leitha: Karolina und ich haben „Mind the Gap“ ins Leben gerufen, weil es einfach keinen ausreichenden Diskurs über die Themen Gehaltslücken, Rentenlücken, Investitionslücken usw. gab. Daher kommt auch unser Name und das ist auch der Grund, warum wir die Initiative in Form von persönlichen Treffen gestartet haben, damit auch Raum für einen gemeinsamen Wein und einen offenen Austausch ist.
Im Laufe der Jahre haben wir Dutzende von Veranstaltungen zu allen möglichen Themen durchgeführt: über die Entmystifizierung von Immobilien bis hin zum Verständnis alternativer Investitionen wie Crowdfunding, Optionen oder Kryptowährungen.
Eine Sache, die mich am meisten überrascht hat, war die Tatsache, dass es nicht viel Wissen darüber gibt, wie Geld funktioniert. Es ist ein so grundlegender Teil unseres Lebens, aber wenn deine Eltern nicht mit dir darüber gesprochen haben, hast du sehr wahrscheinlich nicht viel über so wichtige Themen wie Zinseszins, Inflation, Liquidität oder Risiken über lange oder kurze Zeiträume erfahren.
Du engagierst Dich nicht nur für die Themen finanzielle Gesundheit und Investments von Frauen für Frauen – als Tech-Start-up bringst Du auch mehr Frauen in den Tech-Bereich. Was sind nach Deiner Erfahrung die größten Hürden für Frauen und was wäre erforderlich, um mehr Diversity in die Tech-Welt zu bringen?
Leitha: Ich denke, dass es dafür allen voran Sichtbarkeit braucht. Es ist wichtig, Frauen in Technologie-Führungspositionen zu normalisieren. Es gab in der letzten Zeit auch immer mehr Veranstaltungen und Programme, die sich darauf konzentrieren, Mädchen und Frauen für den Bereich Technologie zu begeistern, aber etwas, worauf ich jetzt wirklich gespannt bin, ist die Auswirkung der Umstellung auf flexiblere Arbeitsumgebungen auf die Zahlen.
Denn als ich noch bei der Zuper GmbH arbeitete, stellte ich fest, dass es ziemlich einfach ist, mehr Frauen für ein Technologieteam zu rekrutieren, wenn man bereit ist, ihnen die Flexibilität zu bieten, Mütter und Partner zu sein, ihr Leben zu leben und gleichzeitig ihren Beitrag im Team zu leisten. Die gleiche Flexibilität trug auch dazu bei, loyalere, glücklichere Väter im Team zu haben. Ich wette also, dass die aktuelle Umstellung auf flexibles Arbeiten und eine stärkere Konzentration auf das, was produziert wird, anstatt auf die Stunden, die am Schreibtisch verbracht werden, dazu beitragen wird, das Geschlechterverhältnis zu verschieben und das Leben für alle besser zu machen.
Du hast den größten Teil Deiner Karriere in den USA verbracht, bevor Du vor 8 Jahren nach Deutschland gezogen bist. Aus der Perspektive einer Frau, die im Tech-Bereich arbeitet: Was sind die größten Unterschiede zwischen den beiden Ländern?
Leitha: In gewisser Weise kann es in den USA einfacher sein, vor allem wenn es um den Papierkram oder die Einstellung der Menschen zu den Kosten des Scheiterns geht. Aber es gibt auch viel weniger Unterstützung, zum Beispiel hinsichtlich der Verfügbarkeit von Zuschüssen für Forschung und Entwicklung oder das verfügbare soziale Sicherheitsnetz für die einzelne Arbeitnehmer*in.
Natürlich konzentrieren sich die USA mehr auf Vision und Leistung. Sie sehnen sich nach der „großen Idee“ und dem „Moonshot“, während die meisten deutschen Investoren wirklich Unternehmen sehen wollen, die eine schöne Steigerung der monatlich wiederkehrenden Einnahmen aufweisen.
Mit Blick auf den zukünftig zunehmenden Fachkräftemangel: Was sind nach Deiner Erfahrung die größten Hindernisse, um mehr internationale Talente nach Deutschland bzw. Europa zu holen?
Leitha: Für mich war es eine überaus interessante Erkenntnis, wie starr in Deutschland die Vorstellungen von Bildung vs. Arbeitsfähigkeit sein können. Ich habe zum Beispiel bei mehreren Bewerber*innen erlebt, die einen Abschluss in einem angrenzenden Bereich (wie etwa Luftfahrttechnik) gemacht haben, sich dann später „weitergebildet“ haben und in eine Rolle in der Softwareentwicklung oder im Datenmanagement gewechselt sind. Sie alle waren sehr erfolgreich in ihrer Arbeit, aber es ist enorm schwierig, ein Arbeitsvisum zu arrangieren, weil die Beweislast bei ihnen lag, zu beweisen, dass sie die geforderten Tätigkeiten auch wirklich ausführen können.
Außerdem haben wir jetzt eine Vielzahl digitaler Tools für die Zusammenarbeit und offene Grenzen in ganz Europa, sodass wir theoretisch überall Menschen einstellen und mit ihnen zusammenarbeiten können. Aber die Realität ist, dass Remote-Arbeit aus Sicht der Steueransässigkeit viel schwieriger ist. Es ist einfach für mich, jemanden einzustellen, solange er in einem abgelegenen Winkel Deutschlands arbeitet. Wenn ich aber jemanden direkt hinter der Grenze in Frankreich oder Polen einstellen möchte, gibt es immer noch große Hürden.
Du hast mehr als 20 Jahre Berufserfahrung in IT- und E-Commerce-Unternehmen. Was rätst Du jungen Frauen, die daran interessiert sind, in einem Technologie-Start-up zu arbeiten?
Leitha: Punkt eins: Du gehörst hierher. Die Technik braucht dich. Ohne die Vielfalt von Stimmen im Bereich Technologie erhalten wir nur Produkten, die für eine kleine Gruppe von Menschen gemacht sind.
Punkt zwei: Lerne weiter. Stelle Fragen. Lese und forsche. Denn die Technologie entwickelt sich ständig weiter und du musst dich mit ihr ändern.
Punkt drei: Es gibt eine Vielzahl von Rollen im Bereich Technologie. Auch wenn du kein Informatikstudium abgeschlossen hast, kannst du mit deinen Fähigkeiten in einem technologieorientierten Unternehmen einen wertvollen Platz finden.
Was war der beste Tipp, den Du jemals während Deiner Karriere bekommen hast?
Leitha: Frauen neigen dazu, konservativ zu sein, also musst du lernen, unverschämt zu fragen. Denke groß, denke mutig und strecke dich nach dem, was außerhalb deiner Reichweite liegt. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Leute davon überrascht sein könnten, wie ehrgeizig du bist. Und vielleicht ist das gar nicht schlimm.