Interview mit Lunia Hara, Expertin für empathische Führung
Patriarchale Strukturen und Hierarchien in Pyramidenform sind out. Warum brauchen wir neue Führungsstile dringender denn je? “Weil wir die Probleme von morgen nicht mit den Lösungen von gestern beheben können”, so Lunia Hara, Expertin für empathische Führung. Und selbst Führungskraft. Was haben Unternehmen, Leaders und Mitarbeiter*innen von empathischer Führung? Welche Voraussetzungen gelten dafür? Und warum zögern so viele Führungskräfte noch, empathisch zu führen? Über die Voraussetzungen und Benefits eines sehr gefragten Führungsstils.
Lunia, es wird viel diskutiert über Führungsstile, die unserer Zeit und Zukunft besser entsprechen sollen. Was ist für Dich persönlich gute Führung?
Gute Führung ist für mich eine, die sich an den Mitarbeiter*innen orientiert. Die sie ins Zentrum stellt. Wir werden in Zukunft noch viel mehr auf Werte, Einstellungen, Mindsets schauen müssen. Leaders, die schnell adaptieren, werden auch besser mit dem kulturellen Wandel umgehen können.
Welche Attribute gehen für Dich mit klassischer Führung einher?
Statusdenken, Machtstreben, Kontrolle. Auf die eigenen Ziele fokussiert sein. Die Mitarbeiter*innen als Unterstützung oder Mittel zur Erreichung der eigenen Ziele zu betrachten. Wobei ich betone: Die wenigsten Führungskräfte handeln absichtlich so. Viele sind sehr nette, sympathische Menschen. Aber wenn es darum geht, die Mitarbeiter*innen zu unterstützen, sind sie eben sehr passiv. Damit müssen wir aufhören.
Welches Narrativ von Führung brichst Du mit Deiner Arbeit auf?
Das Narrativ der künstlich distanzierten Führungskraft.
Warum „künstlich“?
Weil Hierarchien künstlich aufgebaut sind – sprich: Die Chefs oder Chefinnen sind da oben und führen die Mitarbeiter*innen per Anweisung und Kontrolle da unten. Das ist kein zeitgemäßer Führungsstil. Er führt in keiner Weise zur Lösung zwischenmenschlicher Themen, wie wir sie heute haben.
Was sind die Themen von heute und warum, findest Du, haben konservative Führungsstile ausgedient?
Wir leben in neuen Zeiten, erleben den kulturellen Wandel hautnah. Der findet kontinuierlich statt. Aktuell steigt er aber exponentiell sehr stark. Unsere Welt verändert sich rasend schnell. Zwei Katalysatoren sind die Pandemie und die Digitalisierung. Die Ansprüche der Menschen an Unternehmen und Arbeitgeber*innen steigen. Diesen neuen Herausforderungen muss die Wirtschaft auch entsprechend begegnen. Und zwar mit neuen Methoden. Wir können nicht die Probleme von morgen mit den Lösungen von gestern beheben. Das funktioniert nicht.
Du bist der Meinung, dass empathische Führung eine moderne und neue Lösung ist. Warum genau? Was leistet sie mehr im Gegensatz zu konservativen Führungsstilen?
Sie fängt die Bedürfnisse unserer Zeit auf. Empathische Führung stellt die Mitarbeiter*innen in den Mittelpunkt. Ihre Herausforderungen und ihre Ziele. Sie nimmt sie wahr, nimmt sie ernst und unterstützt sie aktiv dabei, ihre Potenziale zu entfalten. Die Harvard Business Review beschreibt sehr treffend: Empathische Führung ist die Absicht, zum Wohl und Glück anderer beizutragen. Das heißt, sie hat nicht ausschließlich Interesse daran, dass Mitarbeiter*innen Leistung und Gewinn fürs Unternehmen erbringen. Sie hat eben auch das Ziel, Mitarbeiter*innen erfolgreich zu machen. Sie zu befähigen, ihre Ziele zu erreichen.
Was sind die Voraussetzungen für empathische Führung? Was müssen empathische Führungskräfte draufhaben?
Vorab: Empathische Führung hat nichts mit „Wohlfühlführung“ zu tun. Ganz im Gegenteil: Empathische Führung ist herausfordernd und sehr aktiv. Sie setzt in jedem Fall diese fünf Skills voraus:
1. Aufrichtiges Interesse an Menschen
Wenn Du Menschen nicht liebst, solltest Du diesen Job nicht machen. Empathische Leaders sind aufmerksam und interessiert an ihren Mitarbeiter*innen. Sie identifizieren ihre Bedürfnisse und Ziele. Sie entdecken Talente und Potenziale. Und sie fördern sie.
2. Verantwortungsbewusstsein
Denn was nützt alles Interesse, wenn nicht Taten folgen? Empathische Führung ist ein Auftrag. Sie ist aktiv. Als empathische Führungskraft fühlst Du Dich dazu verpflichtet, den Erfolg Deiner Mitarbeiter*innen zu unterstützen.
3. Spaß daran, andere Menschen weiterzuentwickeln
Empathische Führungskräfte befähigen. Sie horten ihr Wissen nicht – sie teilen es. Als Mentor*innen tragen sie dafür Sorge, dass ihre Mitarbeiter*innen ihr Potenzial entfalten. Side Note: Es ist ein tolles Gefühl, am Erfolg anderer beteiligt zu sein. Und auch, an den Entwicklungen dranzubleiben. Sensibel zu sein und die Bedarfe der Mitarbeiter*innen immer wieder neu zu erfassen.
4. Kommunikation
Eine wertschätzende Feedback-Kultur, in der offen und transparent gesprochen wird, wann immer es die Mitarbeiter*innen benötigen: Auch das ist empathische Führung. Einige Mitarbeiter*innen sind fein mit einem Call pro Monat. Andere brauchen den Austausch mit ihrer Führungskraft einmal pro Woche. Als empathische*r Leader gehst Du darauf ein – ohne jegliche Wertung.
5. Mut und Selbstvertrauen
Du willst andere weiterentwickeln? Du arbeitest daran, ehrliches Feedback zu geben? Oder planst, wegweisende Veränderungen in der Unternehmensstrategie durchzusetzen? Als Führungskraft befindest Du Dich immer im Spagat zwischen Unternehmen, Mitarbeiter*innen, Kund*innen und Dir selbst. Du hast ja ein Interesse daran, die Bedürfnisse – und Ziele – aller Beteiligten in Einklang bringen. Das erfordert viel Mut und Selbstvertrauen.
Klingt nach Arbeit. Kann es sein, dass viele Führungskräfte empathische Führung deswegen scheuen?
Ich denke, es ist das mangelnde Wissen rund um empathische Führung. Sie wird oft in die “Esoterik-Ecke” gestellt. Oder mit „softer Führung“ gleichgesetzt. Auch wird Empathie eher weiblichen Führungskräften zugeschrieben. In einer männerdominierten Führungswelt – denn das ist sie vorrangig immer noch – tun sich männliche Leaders auch deswegen schwer, Empathie als Führungsstil zu etablieren.
Kann aus einer konservativen Führungskraft eine empathische werden? Und wenn ja: Wie gelingt der Shift?
Um andere Menschen unterstützen zu können, müssen Führungskräfte in erster Linie an sich selbst arbeiten. Feststellen, welche Werte sie selbst haben und woher sie kommen. Ein Beispiel: Kontrolle. Leaders, die Mikromanagement betreiben, sollten hinterfragen, warum sie es tun. Drei Leitfragen sind beispielsweise: 1. Warum ist mir Kontrolle so wichtig? 2. Warum habe ich kein Vertrauen? 3. Warum kann ich schwer loslassen?
Die Sozialisierung, Erziehung, Vergangenheit und andere Faktoren spielen hierbei eine tragende Rolle. Erst wenn Menschen in die Selbstreflexion gehen, sich ihrer Werte bewusst werden, können sie auch mit ihnen umgehen. Und sie ablegen – sofern es negative Werte sind. Kurzum: Gehen Führungskräfte in die Reflexion, bauen sie eine Verbindung zu sich selbst auf. Das wird ihnen helfen, empathischer zu führen. Mit Mitgefühl, mit Menschenkenntnis und Geschick.
Inwiefern profitieren Führungskräfte und Unternehmen denn selbst von empathischer Führung?
Empathische Führung sorgt für viel Zufriedenheit. Bei Mitarbeiter*innen und Führungskräften. Denn der Einsatz für andere, die Unterstützung anderer ist sehr sinnstiftend. Sie gibt der eigenen Arbeit ein Ziel, einen Purpose. Empathische Führungskräfte leisten einen gesellschaftlichen Beitrag: Sie entwickeln andere Menschen weiter! Dieser Support kommt von den Mitarbeiter*innen zurück. Es entsteht eine schöne Dynamik: höhere Motivation, mehr Loyalität der Mitarbeiter*innen gegenüber den Führungskräften und den Unternehmen. Damit mehr Belonging, weniger Fluktuation.
Was ist eine wichtige Schlussfolgerung, die Du aus Deiner Arbeit gewonnen hast?
Es heißt ja, “Employees don’t leave Companies, they leave Managers”. Dann müsste es ja im Umkehrschluss auch möglich sein, Mitarbeiter*innen über die Führungskräfte zu binden. Oder? Natürlich sofern sie auch das Unternehmen, ihre Aufgaben und das Kollegium mögen. Aber empathische Führung ist der Schlüssel zu so vielem. Über Purpose, Belonging und Zufriedenheit hinaus. Führungskräfte, die empathisch führen, zahlen in die Zukunftsfähigkeit eines ganzen Unternehmens ein!
Beeindruckend. Vielen Dank fürs Interview, liebe Lunia!
Lunia Hara ist Moderatorin, Speaker, Autorin, LinkedIn Changemaker und Linkedin Top Voice 2022! Vernetze Dich mit ihr und verfolge ihre Arbeit aktiv mit.