Mit dem ersten Juni beginnt weltweit der Pride Month, eine Zeit, die ganz im Sinne der Sichtbarkeit und Rechte der LGBTQIA+ Community steht. Es ist eine Zeit des Feierns und der Akzeptanz. Regenbogenfahnen werden hoch gehisst, Scharen stürmen zu bunten Paraden und die LGBTQIA+-Community schmücken gemeinsam mit ihren Allies die Pride-Insignien. Gleichzeitig ist es jedoch auch eine Zeit, diejenigen Personen hervorzuheben, die den Weg für den heutigen Aktivismus und die Fortschritte im Bereich der LGBTQIA+-Rechte geebnet haben. Es ist wichtig, diesen Kämpfen und Themen eine Plattform zu bieten, die bisher nicht die erforderlichen Mittel hatten, um die Erfolge der Gleichberechtigung gebührend zu feiern.
Bei all den Feierlichkeiten wird der tatsächliche politische Ursprung schnell außer Acht gelassen. In den frühen Morgenstunden des 28. Juni 1969 durchsuchte die Polizei das Stonewall Inn, eine Schwulenbar im New Yorker Greenwich Village, und begann, Personen jähzornig nach draußen zu zerren. Die Spannungen eskalierten schnell, als sich die Gäste der Festnahme widersetzten und eine wachsende Menge Umstehender Flaschen und Münzen nach den Beamten warf. Die New Yorker Gay Community brach daraufhin drei Tage lang in Demonstrationen aus. Der Aufstand wurde zum Katalysator für eine entstehende Schwulenrechtsbewegung, und wegweisende Organisationen wie die Gay Liberation Front und die Gay Activists Alliance wurden gegründet, die sich an der Bürger*innen- und der Frauenrechtsbewegung orientierten. Ein Jahr nach den Stonewall-Unruhen fanden die ersten Gay-Pride-Märsche des Landes statt. Im Jahr 2016 wurde die Gegend um das Stonewall Inn, das auch heute noch ein beliebter Nachtclub ist, zum Nationaldenkmal erklärt.
Doch während für 4 Wochen nun an jeder Ecke Regenbogen Fahnen gehisst und Unternehmen die CI gegen Pride Farben austauschen, ist es ganz besonders wichtig, auch die harten Realitäten anzuerkennen, mit denen Mitglieder*innen der Community noch immer konfrontiert sind. In vielen Ländern weltweit sind die Rechte von LGBTQIA+-Menschen weiterhin Gegenstand kontroverser Debatten und weiterhin großen Gefahren ausgesetzt. Ihre Identität und sexuelle Orientierung werden nicht nur nicht akzeptiert, sondern in einigen Ländern strafrechtlich verfolgt.
“No pride for some of us without liberation for all of us.” Diese kraftvollen Worte von Marsha P. Johnson erinnern uns daran, dass nur wenn wir alle frei sind, wahre Gleichberechtigung erreicht werden kann.
Die Schwarze Trans* Frau und Filmregisseurin Gossett hebt in diesem Kontext den Widerspruch zwischen Sichtbarkeit, und der zunehmenden Gewalt gegen Trans* Personen hervor. Sie schreibt „Es ist heute wichtiger denn je, dass transsexuelle und non-binäre Menschen ihre eigenen Architekt*innen ihrer Erzählungen sind. Während die Sichtbarkeit von Trans* Menschen auf einem Allzeithoch ist und zunehmend in der Populärkultur vertreten sind, war auch die Gewalt gegen uns noch nie so hoch. Der Drang nach Sichtbarkeit, ohne dass er mit der Forderung nach der Befriedigung unserer Grundbedürfnisse verbunden ist, führt oft dazu, dass wir ohne materielle Ressourcen oder konkrete Unterstützung zurückbleiben und noch mehr Gewalt und Isolation ausgesetzt sind.“
Während Pride also immer näher rückt, ist es entscheidend, dass wir die Geschichte aus der Sicht derer lernen und verstehen, die diese Kämpfe ausgetragen haben.
Ein Beispiel dafür ist Marsha P. Johnson, eine revolutionäre Schwarze Transfrau, Sexarbeiterin und Drag Queen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, Hautfarbe, ihres HIV-Status und ihres Berufs oft übersehen und aus der Mainstream-LGBTQIA+-Community ausgeschlossen wurde. Im Laufe ihres Lebens erlitt Johnson sowohl im Privat- als auch im Berufsleben viele Misshandlungen, die allesamt auf ihre Identität als Schwarze Transfrau zurückgeführt werden können. Nach den Ereignissen in Stonewall schloss sich Johnson zusammen mit ihrer Freundin Sylvia Rivera der Gay Liberation Front an. Die GLF hat es sich zur Aufgabe gemacht, die materiellen Bedingungen für LGBTQIA+-Bürger*innen durch die Abschaffung homophober Gesetze und Stadtverordnungen zu verbessern. In einer Zeitung aus den 1970er Jahren mit dem Titel „Come Out“ heißt es: „Die Gay Liberation Front heißt jeden Homosexuellen willkommen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Alter oder sozialem Verhalten.“ Unter diesem Banner fanden Johnson und Rivera ein Zuhause. Im Juni 1970 fand der erste GLF-Aufmarsch in New York City statt. Diese Märsche, an deren Organisation Rivera und Johnson beteiligt waren, entwickelten sich exponentiell und wurden zu dem, was wir 2023 Pride nennen. Im selben Jahr gründeten Johnson und Rivera die Street Transgender Action Revolutionaries (STAR), eine Gemeinschaftsorganisation, die in ausgewählten Städten der USA und England Dienste für obdachlose LGBTQIA+-Jugendliche bereitstellte. In den 1980er Jahren wurde Johnson eine ausgesprochene Aktivistin der AIDS Coalition to Unleash Power (ACT UP), mit der sie an der Wall Street gegen die Unzugänglichkeit neuer HIV/AIDS-Medikamente protestierte.
Marsha P. Johnsons Engagement in den ersten Versionen von Pride und ihr Kampf um den Erhalt von Wohnraum und psychischer Gesundheitsversorgung zeigen auf scharfsinnige Weise den Widerspruch auf, der mit der Teilnahme an einer für Gleichberechtigung einstehenden Bewegung verbunden ist.
Es ist wichtig zu erkennen, dass Johnsons Arbeit Themen wie Rassismus, Klasse und Geschlecht intersektional verbindet, wie es die größere und weißere LGBTQIA+-Bewegung lange Zeit und teilweise weiterhin nicht tut. Gossett bemerkt: „Vieles von dem, womit Marsha zu kämpfen hatte, bleibt für viele von uns Realität. Marshas Geschichte hat mir geholfen, die Zusammenhänge zwischen der historischen Auslöschung von BIPoC Transfrauen aus der LGBTQIA+-Bewegung und den gegenwärtigen Formen transphober Gewalt gegen Schwarze zu verdeutlichen.“ Die Pride of Johnson-Ära war ein Protest, der darauf abzielte, die grausamen Bedingungen zu mildern, unter denen jene marginalisierten Personen der Stadt New York zu leiden hatten. Pride war damals eine Gelegenheit, sich lautstark für diejenigen einzusetzen, die durch die Staatsmacht, die Polizei und die breitere Anti-LGBTQIA+-Infrastruktur am unmittelbarsten geschädigt wurden.
In den frühen 1990er Jahren begann sich Pride mehr oder weniger zu dem zu entwickeln, was es heute ist – in erster Linie eine feierliche Veranstaltung, die mit Firmensponsoring, Konzerten, Partylokalen und Speed-Dating ausgestattet ist. Dennoch bleibt Pride ein fruchtbarer Ort, um politisches Handeln zu fordern. Im Jahr 2017 gab zum Beispiel die Gruppe „No Justice No Pride“ – ein Kollektiv von Aktivist*Innen mit Sitz in Washington, D.C., ihre Initiative bekannt. Dies lehnte die Öffentlichkeit während der Capital-Pride-Parade ab und unterbrach die Feierlichkeiten für etwa 90 Minuten. Pride ist eine Zeit zu würdigen, wie weit wir als Gemeinschaft von einem Ort bitterer Grausamkeit und Widrigkeit zu dem gekommen sind, wo wir jetzt sind.
Offensichtlich gibt es im Kampf für Gleichberechtigung und Antidiskriminierung noch viel zu tun. Wie Micah Bazant schreibt: „No pride for some of us without liberation for all of us.”, was die Beharrlichkeit von Johnsons Aktivismus auf den Punkt bringt. Ihr Lebenswerk lehrt uns, dass es sinnlos ist, stolz auf oberflächliche Erfolge zu sein, die das Leben vereinzelter verbessern, während so viele andere weiterhin schweigend leiden. Pride ist also nicht unbedingt nur eine Veranstaltung, an der wir Spaß haben. Pride ist vielmehr eine Wiedergeburt politischer Energie. Marsha P. Johnsons intersektionaler Kampf für Gleichberechtigung ist jener, dem wir im kommenden Pride-Monat folgen möchten:
„No pride for some of us without liberation for all of us.”