Seht mich so, wie ich bin: Dr. Agnes Mirra über ihre Erfahrungen, Identität und Diversity, Equity & Inclusion
Dr. Agnes Mirra, Mitarbeiterin im Risikomanagement der Deutschen Bank, teilt ihre persönlichen Erfahrungen und ihr Leben in Deutschland. Als Frau afrikanischer Herkunft spricht sie über die Bedeutung der eigenen Identität und den Einsatz für Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion. Agnes Mirra kam vor acht Jahren zur Deutschen Bank und ist im Bereich Corporate Bank – nichtfinanzielles Risikomanagement tätig. Ursprünglich stammt sie aus Kenia und zog vor 18 Jahren nach München, um am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum ihre Doktorarbeit zu schreiben. Vor neun Jahren zog sie nach Berlin, wo sie heute mit ihren beiden Kindern im Alter von 15 und 10 Jahren lebt. In einem Gespräch teilt Agnes mit uns ihre Erfahrungen als Schwarze Frau in Deutschland. Sie erzählt von ihren Erwartungen und den Herausforderungen, mit denen sie in den vergangenen 17 Jahren konfrontiert war.
Als Schwarze Frau möchte ich meine persönlichen Erfahrungen und mein Leben in Deutschland mit euch teilen. Vor meinem Umzug hatte ich keine bestimmten Erwartungen, wie man mich hier behandeln würde. Mein Vater hatte mich jedoch darauf vorbereitet, dass ich potentiell auf subtile Weise anders behandelt werden könnte als andere, weiße, Personen. Er ist selbst viel gereist und hat in verschiedenen Ländern gelebt, und musste sich immer wieder gegen Mikroaggressionen, Stereotype und Voreingenommenheit zur Wehr setzen. Manche Menschen konnten kaum glauben, dass ein Mann aus Kenia ein solches Bildungsniveau erreicht hatte. Er war daher besorgt, dass auch ich wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt werden könnte.
In den vergangenen 17 Jahren habe ich sowohl positive als auch negative Erfahrungen gemacht. Ich hattegroßartige Begegnungen mit Menschen, die verschiedene afrikanische Länder bereist oder längere Zeit dort verbracht haben. Sie fühlten sich dadurch mit mir verbunden und behandelten mich auf eine äußerst respektvolle Weise. Besonders mit Kindern hatte ich oft interessante und lustige Begebenheiten, wenn sie verstehen wollten, warum meine Haut dunkel ist. Diese Momente waren bereichernd und haben zu einem besseren Verständnis beigetragen.
Allerdings gab es auch Situationen, in denen ich mit konkreten rassistischen Beleidigungen konfrontiert wurde. Mir wurde zum Beispiel gesagt, ich solle dahin zurückgehen, „wohin ich gehöre“, und es wurden mir Schimpfwörter an den Kopf geworfen. Es gab sogar Situationen, in denen ich offenen Rassismus erlebt habe, obwohl die betreffende Person ihre Bemerkungen im Nachhinein herunterspielen wollte. Ich hätte etwas missverstanden oder falsch aufgefasst, hieß es dann. So waren einige Leute überrascht, dass ich promoviert hatte. Dann kamen Kommentare wie: „Es gibt nicht viele Schwarze mit Doktortitel, gut gemacht!“ Ich habe mich auch auf Stellen beworben, für die ich mit meinen Qualifikationen gut geeignet gewesen wäre. Nach einem positiven Austausch per E-Mail sagte man mir dann im persönlichen Bewerbungsgespräch, ich „passe nicht auf das Stellenprofil“, obwohl klar war, dass sie einfach nicht damit gerechnet hatten, dass ich Schwarz bin. Solche Erfahrungen sind schwer zu verkraften und hinterließen tiefe Spuren in meinem Selbstbewusstsein. Ich habe mich oft eingeengt gefühlt und manchmal auch geärgert, dass ich in diesen Momenten nicht angemessen reagieren konnte.
Mit solchen Situationen umzugehen, ist nicht einfach. Oft fühle ich mich eingeengt und möchte einfach nur schnell weg. Manchmal ärgere ich mich darüber, dass ich in dem Moment nicht angemessen reagieren konnte. Aber mittlerweile versuche ich zumindest, diskriminierende Äußerungen sofort anzusprechen. Es ist jedoch eine Herausforderung, denn diese Erlebnisse belasten mein Selbstbewusstsein und ich kämpfe permanent damit. Es strengt mich ungemein an, immerzu Wachsamkeit zeigen zu müssen.
Trotz dieser Herausforderungen habe ich auch positive Erfahrungen gemacht. Ich hatte die Möglichkeit, meine Nachbarin kennenzulernen, die negative Vorurteile gegenüber Schwarzen Menschen hatte. Ich lud sie zu Kaffee und Kuchen ein und erzählte ihr von meinen Erfahrungen und von meiner Heimat in Kenia. Ich wollte ihr vermitteln, dass es hinter jeden Einwander*innen eine Familie gibt und dass man lediglich irgendwo in Ruhe leben möchte, wo bessere Chancen bestehen. Dieses Gespräch war ein Wendepunkt in unserer nachbarschaftlichen Beziehung.
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich mit einem Kind aus der Schule meiner Tochter, das nicht glauben wollte, dass Schwarze Menschen eine gute Bildung haben können. Nachdem ich das Mädchen zum Spielen eingeladen hatte, stellte sie mir viele Fragen über meine Ausbildung und ich erklärte ihr viel über Kenia und Afrika. Je mehr sie hörte, desto größer wurden ihre Augen! Diese Erfahrung zeigte mir, dass wir Veränderungen bewirken können, indem wir miteinander sprechen und uns gegenseitig besser verstehen.
Meine Identität als Schwarze Frau ist mir sehr wichtig. Es gibt mir ein Gefühl von Stabilität und Sicherheit. Ich gehöre zu einer Gemeinschaft und fühle mich mit anderen Schwarzen Menschen auf der ganzen Welt verbunden. Seit ich in Deutschland lebe, gehe ich bewusster mit meiner afrikanischen Kultur um. Meine Wurzeln geben mir die Kraft, meine Ziele zu verfolgen. Meine Kinder hingegen fühlen sich als Afro-Deutsche und können sich mit dieser Beschreibung identifizieren.
In Bezug auf die Verwendung des Begriffs „Schwarz“ sehe ich darin keine rassistische Konnotation. Für mich ist es eine Art, unsere gemeinsame Erfahrung und Verbundenheit zu beschreiben. Wenn sich jemand selbst als Schwarz bezeichnet, warum sollten wir das dann in Frage stellen? Ich empfinde die Debatte eher als einschränkend und als Verweigerung meiner Identität, obwohl es meine Wahrheit ist.
Ähnlich ist es, wenn Menschen sagen: „Warum müssen wir immer über die Unterschiede reden? Sind wir nicht alle gleich?“ Hier empfinde ich eine gewisse Ambivalenz. In einer idealen Welt wären wir alle gleich. Doch um tatsächlich Veränderungen herbeizuführen, müssen wir anerkennen, dass Menschen aus unterrepräsentierten Gruppen nicht die gleichen Chancen und Erfahrungen haben. Wir müssen verstehen, dass sie aufgrund ihrer Herkunft unterschiedlich behandelt werden. Wir müssen uns bewusst machen, dass jeder Mensch eine andere Sicht auf die Welt hat, weil die Welt eine andere Sicht auf sie oder ihn hat.
Um mehr Solidarität mit People of Color zu erreichen und gegen rassistische Diskriminierung anzutreten, müssen wir also miteinander sprechen. Wir müssen Menschen aus unterrepräsentierten Gruppen zuhören und uns an der Diskussion beteiligen, auch wenn es manchmal unangenehm ist. Die Sprache kann ein Hindernis sein, aber wir sollten offen sein und gemeinsam nach Lösungen suchen. Daher ermutige ich alle, sich dem Mitarbeiter*innennetzwerk dbENRICH anzuschließen. Dieses Netzwerk bietet Einblicke in die Erfahrungen verschiedener ethnischer Gruppen in Deutschland und fördert einen holistischen Austausch. dbENRICH wurde nach dem Mord an George Floyd gegründet, um aktiv zu werden. In der Deutschen Bank Deutschland gab es bis dahin kein Mitarbeiter*innen-Netzwerk für Personen aus unterrepräsentierten Gruppen. Ich wollte daher die Gelegenheit nutzen, um eine positive Gesellschaft mitzugestalten und mich für eine integrativere und vielfältigere Welt einzusetzen, insbesondere für meine Kinder.
Studien zeigen, dass Unternehmen, die vielfältig sind und eine integrative Kultur haben, erfolgreicher sind. Genau das möchte dbENRICH erreichen. dbENRICH Deutschland ist ein Mitarbeiter*innen-Ressourcengruppe, die allen bei der Deutschen Bank zur Verfügung steht. Wir fördern Offenheit und einen vielfältigen Austausch. Unsere Plattform bietet Raum für alle Stimmen, insbesondere für diejenigen, die oft nicht gehört werden. Wir unterstützen unterrepräsentierte Gruppen in der Deutschen Bank Deutschland, darunter Mitarbeiter*innen unterschiedlicher Herkunft, Nationalitäten, Hautfarbe und Kultur. Unser Ziel ist es, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem alle Mitarbeiter*innen ihre volle Kraft entwickeln können.
Unsere Grundsätze bei dbENRICH sind:
- Sensibilisierung für Fragen unterrepräsentierte Gruppen und Förderung von Gesprächen über die Herausforderungen, denen sich Mitarbeiter*innen auf Repräsentation und Rollenmodelle, Chancengleichheit und Karrierefortschritt gegenübersehen.
- Aufbau eines sinnvollen und integrativen Netzwerks, das allen innerhalb der Bank offen steht, um die Wirkung der dbEnrich-Initiativen zu maximieren und gemeinsame Erfahrungen zu schaffen.
- Sensibilisierung für die langfristigen Auswirkungen von Allyship auf die Nachhaltigkeit
- Ermutigung der DB, langfristige Maßnahmen zu ergreifen, um identifizierte Lücken zu schließen und ethnische/kulturelle Vielfalt in die Kultur der Organisation einzubetten
- Kulturelle Vielfalt feiern und fördern
- Erhöhung des Verständnis der DB-Mitarbeiter*innen, die nicht direkt von Unterrepräsentation und ungleichen Chancen betroffen sind
Indem wir gemeinsam sprechen, zuhören und uns gegenseitig verstehen, können wir eine solidarischere Gesellschaft schaffen und gegen rassistische Diskriminierung vorgehen. Jede*r Einzelne kann einen Unterschied machen, indem wir aktiv werden und uns für Veränderungen einsetzen. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, eine bessere Zukunft aufzubauen, in der Vielfalt und Gerechtigkeit selbstverständlich sind.