In einem Zeitalter, in dem die Wellen der Veränderung oft träge an den Ufern der Tradition und Konformität brechen, zeichnet sich Jochen Schropp nicht nur als ein bemerkenswerter Entertainer aus, sondern auch als eine Stimme, die mit unerschütterlicher Stärke und echter Verletzlichkeit widerhallt. Seit seinem Coming Out im Jahre 2018 hat er Barrieren in der deutschen Öffentlichkeit durchbrochen und sich unermüdlich für die Rechte und die Sichtbarkeit von queeren Menschen eingesetzt. In einem tiefgründigen Gespräch mit uns reflektiert Jochen Schropp über die Themen Mut, Medienrepräsentation und die Macht des eigenen Wahrheitsausdrucks.
Als ein unerschrockener Fürsprecher für Queerness, der mit Offenheit und einer prägenden Stimme agiert, gewährt er Einblicke in seine Erfahrungen und teilt Gedanken, die weit über die Unterhaltungsindustrie hinausgehen. Mit Herz und Engagement spricht er über die Bedeutung von Safe Spaces für queere Jugendliche, die Verantwortung als öffentliche Figur und die inspirierenden Strömungen des Wandels, die ihn selbst im Alltag antreiben.
Jochen, seit deinem öffentlichen Coming Out im Jahr 2018 hast du dich als bedeutende Stimme für queere Menschen in Deutschland etabliert. Bei uns steht dieses Jahr vieles unter dem Leitmotto „Mut“. Was bedeutet für dich persönlich „mutig sein“?
Wenn ich darüber nachdenke mag es für mich mutig sein, in einer Welt, in der Homosexualität immer noch nicht von allen akzeptiert wird, in der queerfeindliche Angriffe an der Tagesordnung stehen und in der der Rechtsdruck immer größer wird, zu sich zu stehen und damit auch Anfeindungen und Ausgrenzung ausgesetzt zu sein. Ich habe bisher fast ausschließlich positive Erfahrungen nach meinem Coming Out gemacht. Meine Ängste und Sorgen waren nicht berechtigt. Es gibt jedoch viele andere Beispiele. Gerade queere Menschen, die als solche gelesen werden, werden beleidigt, erfahren sehr viel Hass. Die Sätze „Das ist doch schwul“ oder „Heul nicht wie ein Mädchen“ werden immer noch häufig benutzt, „Schwuchtel“ gilt als Schimpfwort Nr. 1 an Schulen. Deswegen brauchen queere Kinder und Jugendliche Vorbilder im Fernsehen, die ihnen zeigen: Du bist genau richtig so wie du bist.
Du bist in verschiedenen Medienpräsenzen aktiv, sei es im Fernsehen, Podcasts oder mit deinem Buch. Wie nimmst du das Thema Queerness in der deutschen Medienlandschaft wahr? Hat sich in den letzten Jahren aus deiner Sicht etwas verändert?
Tatsächlich ist es schön zu sehen, wie sehr sich die Sichtbarkeit der LGBTQIA* Community in der deutschen Film- und Fernsehbranche in den letzten Jahren geändert hat. Als ich aufwuchs wurden homosexuelle Männer als Lachnummer dargestellt und somit auch so gesehen: „Der Paradiesvogel“, und, ich benutze jetzt extra diesen für mich negativ konnotierten Begriff, „die Tunte“ mit abgeklapptem Handgelenk. Auch sie gehören zur Community, und sollten daher respektvoll behandelt werden, anstatt sich darüber lustig zu machen. Für mich war es hart in einer Welt aufzuwachsen, wo „Der Schuh des Manitu“ oder „(T)Raumschiff Surprise“ den Humor der Zeit widerspiegelten. Ich hatte als kleiner Junge, der, wenn auch nicht bewußt, schwul war, keinerlei Identifikationsfiguren. Mein erstes schwules Paar habe ich mit 15 Jahren händchenhaltend auf der Straße gesehen. Heute ist das für junge Menschen natürlich anders, ihre Vorbilder und Menschen, an denen sie sich orientieren können, sehen sie in Serien, Filmen, in Shows oder im Internet. Die Hürden, die ich sehe sind, dass queere Themen oder Shows, Filme und Serien mit queeren Hauptpersonen immer noch als Nichenprogramm bei den Senderverantwortlichen gesehen werden. Ich selbst habe eine wie ich finde wichtige Show mit einer renommierten Produktionsfirma konzipiert, in der wir die Toleranz Deutschlands testen und Menschen unterschiedlicher Einstellung durch Gespräche zusammen bringen wollen. Die Antworten reichen von „Tolle und wichtige Idee, aber zu spitz fürs Hauptprogramm“ bis zu „Wir haben ja schon eine Sendung, die sich mit dem Thema Diversity auseinandersetzt, vielleicht nächstes Jahr“. Die akuten Sparmaßnahmen der Sender tragen das übrige dazu bei, dass diese Programme zu wenig Sendeplätze haben.
Wie wichtig ist es für dich, dass queere Themen und Geschichten in der Unterhaltungsbranche repräsentiert werden, sei es in Filmen, Serien oder in der Musik? Siehst du hier Fortschritte?
Für unsere Akzeptanz ist das absolut wichtig! Ich freue mich, dass es immer wieder Filme oder Serien mit queeren Hauptfiguren gibt, oder sich die Streamer und Sender immer mehr dafür stark machen, Diversität abzubilden. Allerdings ist der Prozentsatz dieser Geschichten und Figuren immer noch sehr gering und eher eine Ausnahme. Ich würde mir wünschen, dass queere Geschichten mit einer Selbstverständlichkeit erzählt werden, anstatt als Einzelprojekt gesehen zu werden.
Ein Outing – vor allem in der Öffentlichkeit – kann ein befreiendes, aber auch herausforderndes Erlebnis sein. Was war deine Erfahrung nach deinem Coming Out und welche Reaktionen haben dich am meisten berührt?
Mir wurde in meiner Karriere immer wieder davon abgeraten, zu meiner sexuellen Identität Stellung zu beziehen. Bei meiner ersten Serie „Sternenfänger“, in der ich als Teenie-Schwarm gehandelt wurde, sprach ich das Thema irgendwann mal an. Und plötzlich wurde alles mit meiner Homosexualität in Verbindung gebracht. Man hätte ja schon gesehen, dass ich schwul wäre, als ich in einer Szene Rugby spielen musste. Ich würde ja werfen, „wie ein Schwuler“. Bei einer Szene bei der ich Badminton spielen musste, war ich übrigens ähnlich „schwul“ – Aber jetzt mal im Ernst: Ich bin nicht gut in Mannschaftssportarten, die mit Bällen, werfen oder fangen zu tun haben. Aber ich kenne genug schwule Männer, die darin extrem gut sind. Es fühlt sich also schon diskriminierend an, wenn dein Nichtskönnen mit deinem Schwulsein in Verbindung gebracht wird. Auch meine, für mein Schauspiel und meine Moderation extrem wichtige Emotionalität wurde in Diskussionen früher oft abgetan als, „Ja, Mensch, der ist halt schwul!“ Davon können wahrscheinlich viele Leserinnen auch ein Lied singen. Charaktereigenschaften werden, besonders von älteren weißen Männern, gerne stereotypisiert und als negativ abgetan, wenn sie gerade nicht ins Konzept passen. Unter anderem aus diesem Grund hatte mir meine damalige Schauspielagentur auch von meinem Coming Out abgeraten. „Du wirst weniger arbeiten, die Rollen des Schwiegermutter-Lieblings nicht mehr spielen“, hieß es da. Damals hat mich die Aussage verunsichert und ich habe mich erst 3 Jahre später geoutet. Mit der Unterstützung meiner jetzigen Schauspielagentur, meines Managements und meines Partners. Heute einige Jahre nach #ActOut, der Aktion, in der sich damals 185 Schauspieler*innen outeten ist man sensibler geworden. Ich hätte mir von meiner Schauspielagentur gewünscht, sie hätten mich damals unterstützt und gesagt: Nichts ist wichtiger, als das du zu dir stehst und glücklich bist. Selbst wenn gewissen Rollen ausbleiben, werden wir dafür sorgen, dass du andere, vielleicht sogar wichtigere Rollen mit Impact spielst. Ich spiele seit meinem Coming Out übrigens vermehrt queere Rollen, die hoffentlich mehr zum Nachdenken anregen, als meine damaligen Pilcherausflüge nach Cornwall. Ich darf aber seit 3 Jahren auch den heterosexuellen Tierarzt Kajo Winter, Vater zweier Söhne, im schönen Schwarzwald geben. Aktuell laufen übrigens die neuen Folgen Sonntag morgens im Ersten oder sind in der ARD-Mediathek abrufbar.
Aber nochmal zu den positiven Reaktionen nach meinem Coming Out: es gibt keine schöneren Rückmeldungen, als die von Personen, die sich aufgrund meiner Geschichte entschieden haben, sich ebenfalls zu outen und dadurch ein freieres Leben führen können. Eine ältere Dame hat sich nach dem Lesen meines Coming Out Briefs in der Zeitschrift Stern bei mir bedankt, da sie plötzlich ein ganz anderes Bild von Homosexualität hatte. In der Vergangenheit hatte sie eine negative Einstellung zu Homosexualität und sagte, dass sie sich richtig für ihre Ansichten schäme. Auch nach Erscheinen meines Ratgebers „Queer as F**k“ erreichen mich immer wieder Nachrichten von schwulen Männern, die sich in meinen Geschichten wiederfinden oder von Eltern, die durch mein Erlebtes ein besseres Verständnis für ihr queeres Kind haben. Lediglich aus der eigenen Community gab es vereinzelt Stimmen, ich würde mich durch mein öffentliches Coming Out ja nur bereichern wollen. Sollen sie reden, jede positive Stimme zeigt mir, dass es richtig war.
Sprache ist mächtig und hat oft eine tiefe Bedeutung, vor allem in Bezug auf Identität und Selbstwahrnehmung. Ist „Outing“ für dich das passende Wort, um deine Erfahrung zu beschreiben, oder gibt es eine Bezeichnung, die du bevorzugen würdest?
Interessante Frage, vor allem, weil du selbst in den Fragen von Outing sprachst. Wenn wir von Coming Out sprechen, sprechen wir vom selbstbestimmten Outing. Ich habe mich geoutet, also hatte ich mein Coming Out. Während das Wort Outing, dass fremdbestimmte bezeichnet, wenn ich also jemanden oute. Ich weiß aber, dass deine Frage auf das generelle Wort abzielt. Für mich ist das Wort absolut in Ordnung, aber ich weiß, dass sich andere Menschen damit schwerer tun. Mich stört eher die Frage, ob man sich heutzutage überhaupt noch outen müsse. Die kommt übrigens immer von heterosexuellen Menschen. Meine Antwort: Ja, müssen wir. Bis queere Menschen mit hetero normativ lebenden Menschen gleich gestellt sind, werden noch hunderte von Jahren vergehen. Nur weil es für dich kein Problem ist, heisst es nicht, dass das Problem nicht besteht. Das ist ähnlich wie die Aussage, „Ich sehe keine Farben“. Das heisst nicht, dass es keinen Rassismus gibt. Ob wir es Coming Out nennen oder einen anderen Begriff dafür finden, ändert für mich nichts an der Tatsache, dass diese Information bei unserem Gegenüber eine Reaktion auslöst.
Das stimmt, auch ich als heterosexuelle Person, sprach von Outing. Gerade in diesem Zusammenhang fällt mir auf, wie wichtig es ist, Räume zu haben, in denen man sich sicher fühlen und die eigene Identität ohne Angst vor Missverständnissen oder Vorurteilen ausleben kann. Das leitet mich zu einer anderen essentiellen Frage über: Du hast öfter davon gesprochen, dass du in Frankfurt eine Gruppe und Clubs hattest, die dir einen Safe Space gegeben haben, in welchem du dich selbstsicher gefühlt hast. Wie wichtig ist deiner Meinung nach eine solche Gemeinschaft für queere Jugendliche?
Ich glaube, dass es für unsere Entwicklung extrem wichtig ist, diese Art von Safe Spaces zu haben. Kritische Stimmen sagen zwar, dass wenn wir als queere Menschen als „normal“ angesehen werden wollen, dann sollten wir auch nicht selbst ausgrenzen. Aber auf den Parties, die ich in Frankfurt besucht habe, waren ja auch straighte Menschen herzlich willkommen. Für mich war es sehr hilfreich Menschen kennenzulernen, die so sind wie ich. Und dass ich mich in einem Umfeld aufhalten konnte, wo ich mich entfalten konnte – oder einfach so sein konnte, wie ich bin.
Du bist zweifellos ein Vorbild für viele in der Queer-Community. Fühlst du manchmal den Druck, ein Aushängeschild oder Repräsentant für die Community zu sein? Wie gehst du damit um?
Ab und zu bekomme ich Nachrichten von Menschen, die sich beschweren, weil ich mich zu einem bestimmten aktuellen Thema nicht geäußert habe. Ich persönlich finde nicht, dass ich ein Experte zu jedem LGBTQIA+ Thema sein muss. Daher lasse ich mich hier auch nicht unter Druck setzen. Wenn ich etwas zu sagen habe, mache ich es. Ich finde es für mich aber falsch, mich über bestimmte Themen aufzuregen oder Stellung zu beziehen, die ich vielleicht auch gar nicht vollends verstehe und umreiße.
Du betonst die Bedeutung von Vorbildern für queere Jugendliche. Wer war oder sind deine Vorbilder, und inwiefern haben sie dich beeinflusst oder unterstützt?
Genau das war ja mein Problem. Ich hatte keine. Alle schwulen und lesbischen Künstler im Fernsehen, waren schrill und überzogen. Ich konnte mich damit gar nicht identifizieren. Wenn dir außerdem die ganze Zeit suggeriert wird, dass diese Selbstdarstellung etwas Unnatürliches und Komisches ist, ist es für dich als Kind oder jugendliche Person noch schwieriger, dich in einer Haut wohlzufühlen. Ich finde es großartig, dass mittlerweile so viele Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, offen queer sind und es so eine ganze Bandbreite an Identifikationsfiguren gibt.
Deine Geschichte und dein Engagement inspirieren viele. Was inspiriert dich im Gegenzug im Alltag?
Mich inspirieren junge Menschen, die nichts auf bisherige Konventionen geben, sondern ein selbstbestimmtes Leben führen und damit Vorbilder sind. Menschen, die mit einem liebevollen Blick aufklären, ohne laut und aggressiv zu werden. Der Blick auf fluide Sexualität oder unterschiedliche Beziehungsformen ist in jüngeren Generationen weitaus offener geworden. Und mich inspirieren Menschen, die offen für Veränderung sind. Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht!“ oder „So machen wir das nicht.“ Sind mir zuwider. „Growth Mindset“, statt „Closed Mindset“.
Hast du jemals überlegt, in die Politik zu gehen oder dich auf andere Weise stärker für queere Rechte einzusetzen?
Tatsächlich nicht. Ich bin ein absolut harmoniebedürftiger Mensch. Ich glaube nicht, dass ich dem Druck der Politik standhalten könnte, ohne daran zu zerbrechen. Ich mache das, was ich emotional auch (er)tragen kann.
Gibt es bestimmte Aspekte oder Herausforderungen des „Queer-Seins“ in Deutschland, von denen du wünschst, dass sie mehr Beachtung in der Gesellschaft oder den Medien finden würden?
Ich glaube das generell das Verständnis dafür fehlt, was es bedeutet, als queerer Mensch in einer heteronormativen Welt aufzuwachsen. Selten werden Gespräche tiefgründiger beleuchtet, sondern in der Gesellschaft eher damit abgetan, man solle doch nicht so tun, als sei man etwas Besonderes. Was die queere Community meines Erachtens gar nicht macht. Wir möchten nur ganzheitlich gesehen und verstanden werden.
Das Thema Mut zeigt sich in verschiedenen Facetten für unterschiedliche Menschen. Und auch die Vielfalt innerhalb der Queer-Community ist enorm. Glaubst du, dass es bestimmte Gruppen innerhalb dieser Community gibt, die es in der Medienlandschaft möglicherweise noch schwerer haben als andere und für die „mutig sein“ eine andere Herausforderungen mit sich bringt?
Ich denke, dass es die Trans*-Community weitaus schwerer hat als die Gays. Auch queere Menschen mit Behinderung finden so gut wie gar nicht in der Medienlandschaft statt. Hier fällt mir beispielsweise nur die Serie „Special“ (auf deutsch „Ein besonderes Leben“) von Ryan O’Connell ein, der unter einer milden Form der Infantilen Zerebralparese leidet.
Du sprichst oft über Akzeptanz und Verständnis. Was würdest du dir für die nächste Generation queerer Menschen in Deutschland wünschen, insbesondere in Bezug auf Mut und Selbstakzeptanz?
Du sagst es schon in deiner Frage: ich würde mir mehr Akzeptanz und Verständnis wünschen als Ausgrenzung oder gar Ekel. Ich habe große Hoffnung, dass die weiteren Generationen laut sein werden und für sich einstehen.
Abschließend, gibt es eine bestimmte Rolle oder ein Projekt, das dir besonders am Herzen liegt und das du gerne einmal realisieren würdest?
Ich habe vor mittlerweile einem Jahr eine Rolle in einer großartigen queeren Serie angeboten bekomme, die bisher immer noch kein Sender oder Streamer gekauft hat. Produktionsfirmen haben sich damals um das Konzept gerissen, weil es eine wichtige und spannende Geschichte erzählt. Jetzt ist seit über einem Jahr nichts passiert. Das zeigt mir, dass ich mir gar nicht Konkretes wünschen möchte, außer, dass queere Geschichten generell den Weg ins Mainstream Fernsehen finden. Ich habe vor kurzem „Einfach Nina“, einen ARD-Film über ein Trans* Mädchen von Regisseurin von Karin Heberlein gesehen, der so positiv und lebensbejahend erzählt ist ohne die Probleme außen vor zu lassen. Ich würde mir wünschen, dass viel öfter Geschichten in dieser Art erzählt, werden würden.
Mit aufrichtigem Dank für deine Offenheit und dein Engagement Jochen, blicken wir gespannt auf die Zukunft – eine Zukunft, die hoffentlich durch deine und zahlreiche andere mutige Stimmen, ein wenig bunter, ein wenig mutiger und ein ganzes Stück wärmer wird. Als Vorbild, Aktivist und Künstler zeigst du, dass es in der Zerbrechlichkeit unserer Geschichten eine unerschütterliche Stärke gibt. Danke, Jochen Schropp, dass du mit uns geteilt hast, was es bedeutet, mutig zu sein.
Fotos: © Nils Schwarz