Alle sprechen gerade von Sichtbarkeit. Doch was bedeutet es eigentlich sichtbar zu sein in einem Karrierekontext? Und warum ist das überhaupt so wichtig? Wir erklären, was es mit dem Trend auf sich hat – und warum einem Personal Branding zu noch mehr als einem Karriereboost, verhelfen kann
Aktuell ist es kaum möglich durch den LinkedIn-Feed zu scrollen, ohne dabei über das Wort „Sichtbarkeit“ zu stolpern. Man liest beispielsweise, wie superwichtig sie ist – und wie einfach es heute durch die sozialen Medien ist, die Eigene zu steigern. Der Hype um das Trendschlagwort reißt nicht ab. Doch nur wenige verstehen sich wirklich darauf, ihre eigene Sichtbarkeit strategisch und sinnbringend zu erhöhen.
Deshalb lohnt es sich an dieser Stellen noch mal tiefer einzusteigen. Denn eine hohe Sichtbarkeit ist nicht bloß ein Mittel, um die eigene Karriere voranzubringen, sondern ist darüber hinaus eine Möglichkeit, sich etwas weitaus Wichtigeres zu verschaffen: Unabhängigkeit.
Was bedeutet Sichtbarkeit?
Wer an seiner Sichtbarkeit arbeiten will, arbeitet an nichts anderem als an seiner eigenen Marke – seiner persönlichen Brand. Deshalb geht die eigene Sichtbarkeit zu erhöhen auch weit über zwei bis drei Posts die Woche hinaus. Klar, Bilder von seinem Essen zu posten, ist hip, aber nicht gemeint, wenn es darum geht, sich öffentlich zu positionieren. Einzige Ausnahme: Man ist Koch/Köchin oder Food-Blogger*in. Sorry to say.
Beim Personal Branding geht es vielmehr darum, die eigenen Ziele, Alleinstellungsmerkmale und – besonders wichtig – die eigenen Themen, für die man wirklich brennt, zu positionieren. Man wird also nicht so sehr durch sein Äußeres sichtbar – wobei das auch möglich ist, ein Beispiel wäre die Mode-Ikone Iris Apfel – sondern vielmehr durch die eigenen Werte. Durch das, was einen umtreibt, was man erreichen will. Also eigentlich durch den Menschen, der man ist. Herauszufinden, wer diese Person ist, ist oftmals aber gar nicht so leicht. Man kann hierzu Freund*innen und Kolleg*innen zurate ziehen und sie von Außen auf einen schauen lassen. Schafft man es, seine Themen zu definieren, kann man anfangen, sie aktiv voranzutreiben.
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Warum ist Sichtbarkeit so wichtig?
Man könnte sich jetzt natürlich fragen: Wozu das Ganze? Reicht es nicht einen guten Job zu machen? Fair enough. Und sicher: Überstunden machen, die Extrameile gehen, an Wochenenden arbeiten, ist ehrenwert, doch ist es am Ende das, wofür man wirklich wahrgenommen wird? Oder anders gefragt: Will man dafür überhaupt wahrgenommen werden? Die Antwort lautet vermutlich in beiden Fällen nein.
Personal Branding ist ein Ermächtigungstool, mit dem man seine eigene Geschichte schreiben kann. Die einem dabei hilft, präsent zu bleiben, vor allem in den Köpfen von (potenziellen) Arbeitgeber*innen. Das ist ein bisschen wie bei einer Wahl. Gibt man seine Stimme nicht ab, verschwindet diese nicht einfach in einen luftleeren Raum. Man verschenkt sie. An wen, darüber hat man keine Kontrolle. Kreiert man also nicht selbst das Bild, das man von sich zeigen möchte, werden es andere tun – ohne, dass man ein Mitspracherecht hat.
GDW-Gründerin Tijen Onaran, erklärt, weshalb Personal Branding wichtig ist, so: „Angenommen ich habe zwei Programmiererinnen in meinem Freundeskreis. Beide haben den gleichen Erfahrungsstand und scheinen objektiv gleich gut zu arbeiten. Aber eine der beiden taucht regelmäßig in meinem Social-Media-Feed auf, weil sie Artikel postet und kommentiert, während die andere Social Media nicht oder nur passiv nutzt. An wen denke ich wohl zuerst, wenn ich mal eine Frage zum Programmieren habe?“
Durch eine höhere Sichtbarkeit kann man also nicht nur seine berufliche Karriere in gewisse Wege leiten. Man schafft sich darüber hinaus auch eine noch viel wertvollere Unabhängigkeit, durch die man gewappnet ist, sollte der Job plötzlich mal wegbrechen. Und das – das hat die Pandemie gelehrt – kann schneller passieren, als einem lieb ist.
Personal Branding und die Pandemie: Wie hat sich Sichtbarkeit durch Corona verändert?
Wo wir schon bei der Pandemie sind: Natürlich hat sie auch Einfluss auf die Art, wie und wo wir uns und unsere Themen positionieren, verändert. Stichwort Remote Work. Tatsächlich waren die sozialen Medien zwar bisher ein wichtiges Tool, wenn es darum ging die Sichtbarkeit zu erhöhen, doch sie sind klassischerweise nicht das einzige Mittel. Physische Sichtbarkeit am Arbeitsplatz oder auf Events waren vor 2020 mindestens ebenso von Bedeutung. Seit Corona sind diese Möglichkeiten jedoch zeitweise beinahe komplett weggebrochen – und Personal Branding musste neu gedacht werden.
Dabei ist vor allem das Karriere-Netzwerk LinkedIn weiter in den Fokus gerückt, das in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres einen Nutzer*innenzuwachs von über 34 Millionen weltweit verzeichnen konnte. Und das nicht ohne Grund. LinkedIn ist die Plattform für Personal Branding. Forbes resümiert hierzu, dass digitales Personal Branding den Business-Lunch abgelöst hat. Der erste Eindruck würde heute durch das, was man in der Google-Suche im LinkedIn-Abouttext findet, geprägt.
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Sichtbarkeit macht auch angreifbar
Sichtbar zu sein, so viele Vorteile es auch mit sich bringt, birgt aber auch Fallstricke, die viele zögern lässt, sich öffentlich zu positionieren. Denn: Wer sichtbar ist, macht sich in gewisser Weise auch zur Zielscheibe. Man muss also gut abwägen, was man teilt, von Content-Posts bis hin zum einzelnen Like. Das Internet vergisst nämlich nie.
Das verdeutlicht der Shitstorm, den die 20-jährige Bundessprecherin der Grünen Jugend Sarah-Lee Heinrich im vergangenen Sommer erfahren hat. Heinrich wurde dabei von Tweets eingeholt, die sie 2014 und 2015 abgesetzt hatte. Sie war zu der Zeit 13 und 14 Jahre alt. Damals schrieb sie unter einen Tweet mit Hakenkreuz das Wort „Heil“. Die Reaktionen des Netzes reichten bis hin zu Morddrohungen. Die Lektion, die die junge Frau aus der Geschichte zog und mit ihrer Community teilte: „Die Moral von der Geschichte: Schreibt nicht jeden Scheiß ins Netz!“
Sichtbarkeit führt zu mehr Diversität
Zu guter Letzt hat Sichtbarkeit neben karrierefördernden Vorteilen und einer gewissen Unabhängigkeit aber noch einen anderen entscheidenden Effekt, der vor allem für Frauen und Menschen, die Diskriminierung erfahren, von großer Bedeutung ist und den GDW-Gründerin Tijen Onaran in ihrem Buch „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“ resümiert: „Sichtbarkeit ist der erste Schritt auf dem Weg zur Veränderung. Diversität in Unternehmen wird dann zum Erfolg, wenn alle Mitarbeitenden gleichermaßen wahrgenommen werden.“
Es lässt sich also sagen, dass in seine eigene Sichtbarkeit zu investieren, der ziemlich größte Gefallen ist, den man sich selbst – und anderen – tun kann.