Lichtblick IT-Branche: Interview mit Vanessa Gentile von Salesforce
Vanessa Gentile ist Director Alliance & Channel Switzerland bei Salesforce und überzeugte Fürsprecherin für Jobs in der IT-Branche. Auch weil jede siebte Mutter in der Schweiz ihren Job wegen Mutterschaft verliert, hat sie das Salesforce-Programm Bring Women back to Work ins Leben gerufen. Was sind die Top-3-Argumente für Frauen und Mütter, um in der IT-Branche zu arbeiten? Worauf kommt es an, um in einer neuen Branche Fuß zu fassen und welche Unternehmen leben das ‘new normal’ gekonnt vor? Die Tipps, Insights und Erfahrungswerte unserer FemBizSwiss-Jurorin – hier im Interview.
Vanessa, Du bist fasziniert von der IT-Branche und überzeugte Fürsprecherin. Warum?
Hier spielt die Musik! Innovation, Kreation, Spannung: Wer daran beteiligt sein möchte, die Zukunft mitzugestalten – und damit auch die Art und Weise, wie wir arbeiten werden – ist hier genau richtig.
Du arbeitest bei Salesforce als Director Alliance & Channel. Was sind Deine Top-3-Argumente für Frauen und Mütter, um in der IT-Branche zu arbeiten?
Erstens, dass flexibles Arbeiten möglich ist. Zweitens, dass der Erfolg über Ergebnisse gemessen wird – sprich: dass eine Kultur des Vertrauens statt der Kontrolle gelebt wird – und drittens, die Chancen, die sie bietet: Es gibt hier wahnsinnig viel zu lernen! Die Branche fächert sich in so viele verschiedene Bereiche auf. Hier hat man gute Möglichkeiten quer- oder neu einzusteigen, sich weiterzubilden und Karriere zu machen.
Warum ist das ausgerechnet für Frauen mit Familie so wertvoll?
In der Schweiz steht es nicht besonders gut um die beruflichen Perspektiven für Frauen und Mütter. Wir sind in fast allen Bereichen unterrepräsentiert. Gesetzlich stehen uns nur 16 Wochen Mutterschaftsurlaub zu. Es gibt weniger Teilzeitjobs auf dem Markt und statistisch gesehen verliert jede siebte Frau ihren Arbeitsplatz wegen Mutterschaft. Ich erlebe die IT-Branche da als wahren Lichtblick für Frauen und Mütter, die Karriere machen möchten.
Inwiefern genau? Was hat die IT-Branche anderen Branchen voraus?
Sie bietet mehr Flexibilität als andere Branchen. Ich werde an meinen Ergebnissen gemessen und nicht daran, wann, wo oder wie ich arbeite. Gerade die Pandemie hat hier extrem nachgeschärft: Flexible Arbeitszeiten erleichtern die Tagesplanung einfach immens – gerade für Familien mit Kindern. Ich habe zwei Kinder und kann arbeiten, ohne den „track of record“ zu verlieren. Niemand ist mir böse, wenn ich bei einem Meeting nicht dabei sein kann, weil ich da gerade für die Kinder koche. Zum Glück ist das möglich! Übrigens, ohne dass mir deswegen meine Kompetenzen abgesprochen werden. Es zählen schließlich die Ergebnisse.
Ein Zitat von Dir lautet: „The real enabler of continued productivity in the „new normal“ is a working culture of flexibility and trust“. Trifft es das?
Absolut! Das „new normal“ erfordert eine Firmenkultur des Vertrauens. Vertrauen ist ein „enabler“. Ich meine, gerade wir Frauen tendieren dazu, ein schlechtes Gewissen zu haben: Gehen wir arbeiten, haben wir ein schlechtes Gewissen gegenüber der Familie. Sind wir mit der Familie, haben wir ein schlechtes Gewissen gegenüber der Arbeit und so weiter. Schenken Unternehmen aber Vertrauen, wird auch eine Arbeitskultur geschaffen, die ohne schlechtes Gewissen auskommt.
Du nanntest auch die Chancen und Vielfalt, die die IT-Branche bietet, als eines Deiner Top-Argumente. Wie sehen die konkret aus?
Die IT-Branche besteht aus wahnsinnig vielen Facetten: von Marketing über Sales bis Consultancy und mehr. Alles Bereiche, in denen Du Fuß fassen und arbeiten kannst.
Woran liegt es dann, dass nicht noch mehr Frauen in der Schweiz im IT-Bereich arbeiten? Es sind gerade mal 18%, berichtete die Netzwelt im März 2020.
Zum einen liegt’s daran, dass wir in der Schweiz ein grundsätzliches Problem haben. Einige Gründe nannte ich eingangs. Frauen, die eine Familie gegründet haben, wird es nicht gerade leicht gemacht, wieder in den Beruf zurückzukehren. Zum anderen existiert ein falsches Narrativ: dass IT sehr technisch und die Branche hauptsächlich männlich dominiert sei. Früher kam man eher mit einem Abschluss als IT-Ingenieur*in oder IT Fachspezialist*in zur IT. Zum Glück hat sich die Branche aber nach und nach diversifiziert.
Die Gründe, die Du gerade nanntest, haben Dich nicht abgehalten. Wie hast Du Deinen Weg in die IT-Branche gefunden?
Ich bin hier zufällig gelandet. Genauer: über meine Sprachkenntnisse. Ich spreche sechs Sprachen, habe schon als Schülerin bei der Kriminalpolizei übersetzt, später für das Gericht – Kanton Thurgau. Mein Weg schien klar, ich würde wohl Simultanübersetzerin werden. Aber immer in Ermittlungen stecken, mit den „bad boys“ und den „bad girls“ – das war es dann doch nicht. Ich hatte einen kaufmännischen Hintergrund, dadurch standen mir schon viele Möglichkeiten offen. Aber ich wollte auch irgendwo Fuß fassen, wo ich meine Sprachen nutzen konnte. Ein Freund fand, meine Sprach-Skills wären in der Firma, in der er arbeitet, absolut gefragt. Ich könnte einen Riesenmarkt abdecken! IT, internationales Umfeld – also sagte ich zu. Und das ohne technische Ausbildung oder einen IT-Uni-Abschluss.
Mut zur Lücke!
Genau, ich bin wirklich in die IT-Branche reingerutscht. Ahnungslos, was der Unterschied zwischen einem Betriebssystem und einer Software war. Das hat mich aber nicht abgehalten. Für mich war’s ein Highlight, in eine neue Branche einzutauchen und so viel Neues zu lernen!
Was würdest Du rückblickend sagen: Wer oder was war in dem Moment der größte Türöffner für Dich?
Ich bin sehr wissbegierig. Alles, was ich nicht weiß, interessiert mich. Meine Neugier war definitiv ein Türöffner. Und der Mut, Dinge auszuprobieren, die ich vorher nicht kannte oder probiert hatte. Ich wusste nur ,Der Job klingt spannend. Und ich kann meine Sprachen einsetzen‘. Das war ja auch mein eigentliches Ziel.
Wir haben die „Neue Normalität“ in der Arbeitswelt schon kurz angerissen: Ist auch Diversity ein Teil dieser? Und damit auch alternative Ausbildungs- und Karrierewege?
Ja, das sind beides sehr wichtige Treiber des ‚new normal‘. Diversity beginnt zunächst bei uns selbst: Wenn wir Neues ausprobieren, bringen wir uns selbst weiter und werden besser. Dafür, finde ich, bietet uns das Leben auch zahlreiche Möglichkeiten! In diesem Kontext sollten auch Unternehmen mutiger sein dürfen und Menschen rekrutieren, die keine linearen Lebensläufe verfolgt haben. So erreichen Unternehmen auch Diversity. Sie erhalten neue Impulse, neue Ideen, werden dadurch innovativer und profitabler. Unternehmen, die dagegen immer wieder Leute mit dem immer gleichen Background einstellen, verpassen Innovation.
Du hast bei Salesforce das Programm „Bring Women back to Work“ ins Leben gerufen. Ich schätze, der Name ist Programm?
Ja! Ich habe „Bring Women back to Work“ (BWBW) initiiert, um neue Talente zu rekrutieren: Über BWBW werden Frauen, die eine lange Karriereunterbrechung hinter sich haben, unterstützt, zurück ins Arbeitsleben zu finden. Und zwar mit Mentoring, mit Schulungen und konkreten Jobmöglichkeiten im Netzwerk von Salesforce: 15 Partnerunternehmen sind bereits dabei! Seit November 2020 haben sie 48% der Talente in Fulltime- und 86% in Part time-Jobs rekrutiert. Außerdem sind schon 40% über unsere Lernplattform Trailhead Salesforce-zertifiziert. Diese Plattform steht allen zur Verfügung: Jede*r kann sich hier kostenlos fit machen und sich Salesforce-Wissen aneignen.
Das ist beeindruckend, Vanessa! Wie ist das Feedback der Partner*innen?
Sie sind total happy! Vorab: Alle Partner*innen verbindet, dass sie hinter dem Konzept stehen: Frauen in flexiblen Full– und Part time-Jobs einzustellen – trotz Karriereunterbrechung und ohne IT-Erfahrung. Und, was soll ich sagen: Sie sind hin und weg und wahnsinnig beeindruckt, welche Skills die Frauen mitbringen! Wie schnell sie lernen und sich zertifizieren! Denn ehrlich: Das, was ein Mensch fernab von seiner Ausbildung mitbringt – seine persönliche Erfahrung, seine Geschichte, sein Know-how, seinen Antrieb, seine Motivation – das alles lernen wir auf keiner Uni!
Das ist wahr. Was hat Dich persönlich bewogen, BWBW zu initiieren?
Mir war die Tech-Industrie ja selbst völlig fremd, aber dennoch habe ich Fuß gefasst. Und ich erlebe sie als eine Branche, die gleichermaßen Frauen, Müttern und Unternehmen Wachstumschancen bietet. Ich habe auch beobachtet, wie schwer es für Mütter ist, nach einer Karrierepause zurückzukommen. Ganz ehrlich: Nach zwei, drei Jahren, die Du raus bist, steigst Du nicht mehr dort ein, wo Du warst. Du wirst überholt. „Bring Women back to Work“ unterbricht diese Spirale. Auch unternehmensseitig, indem eben nicht mehr die immer wieder gleich aufgestellten Leute rekrutiert werden. Dazu gehört Mut. Aber um in Zukunft profitabel zu sein, dürfen Unternehmen nicht feige sein: Sie müssen ihre Weltsicht und ihren bisherigen Kurs ändern.
Du beobachtest den Markt sicher schon eine Weile: Welches Unternehmen ist in Deinen Augen besonders mutig?
Mittlerweile sind es viele! Auf jeden Fall unsere Partner*innen von BWBW. Sie sind alle Role Models für andere Unternehmen. Aber, um nur ein Unternehmen zu nennen: Accenture. Sie stellen bewusst schwangere Frauen ein. Das habe ich so noch nie von einem Unternehmen gehört. Aber ja, was spricht eigentlich dagegen? Wenn sie nun mal die Richtige für den Job ist – wieso eigentlich nicht?
Es gibt so viele Positionen, ob nun von Männern oder von Frauen zu besetzen, bei denen die Unternehmen auch mehrere Monate warten, bis sie in die neue Position starten können.
Richtig! Schwangere starten unter Umständen sechs Monate nach der Geburt ihrer Kinder und das voll motiviert. Ich finde das super spannend! Sehr smart und mutig von Accenture. Damit setzen sie ein deutliches Zeichen im Markt. Wir brauchen mehr von diesen Partner*innen. Und noch mehr von diesen Stories. Sie sollten publik gemacht werden, um andere Unternehmen zu wecken und ihnen Mut zu machen, denselben Weg zu gehen!
Ein Unternehmen als Role Model für andere – top. Welche sind Deine persönlichen Role Models und wie haben sie Dich geprägt?
Es gibt sicher viele Menschen, die mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich heute bin. Auch Situationen und negative Erfahrungen prägen uns. Die Ups and Downs des Lebens eben. Aber wenn ich von Menschen spreche, dann ist es zum einen sicher meine Großmutter. Sie sagte mir „Kind, es gibt nur eine Version von Dir auf dieser Welt. Das ist Deine Superkraft. Nutze sie!“ Und sie hat so recht damit: Es gibt niemanden, der so ist wie ich. Niemanden, der so ist wie Du. Jede*r von uns ist einzigartig. Das ist wirklich unsere Superpower!
Zum anderen hat mich meine Mutter immer wieder dafür sensibilisiert, wie privilegiert wir leben dürfen. In Frieden, sorgenfrei, ein Leben voller Möglichkeiten. Wir sollten, wenn wir können, Opportunitäten für andere kreieren. Vorausdenken. Uns fragen, was wir für andere tun können, wie wir die Situation anderer Menschen verbessern können. Das ist mit ein Grund, weswegen es BWBW gibt.
Das sind großartige Ratschläge. Welchen Rat möchtest Du unseren Leser*innen gern abschließend mitgeben?
Es sind gleich drei: Höre nie auf, dazuzulernen. Wir lernen seit unserer Geburt an laufend dazu! Es ist in unserer DNA. Genau wie Flexibilität: Geh mit den Sinuskurven des Lebens. Nehme die Chancen wahr, die Dir das Leben gibt. Du hast nichts zu verlieren. Probiere es aus! Entweder gewinnst Du oder Du lernst dazu. Alles, was wir im Leben bekommen, ist ein Geschenk. Vor allem Feedback: Hol Dir Feedback von Menschen, denen etwas an Dir liegt.
Vielen Dank für das Interview, Vanessa.
Und Dir vielen Dank fürs Lesen! Wenn Dir das Interview gefallen hat, fühl Dich frei, es mit Menschen zu teilen, an denen Dir etwas liegt. Vanessa ist Jurorin bei unserem FemBizSwiss-Award: Erfahre, wie Du Dich selbst oder andere Frauen für den FemBizSwiss Award 2021 nominieren kannst! Vernetze Dich mit Vanessa, lerne mehr über die Lernplattform Trailhead und das Salesforce-Programm Bring Women back to Work. Auch auf Instagram.