Mentale Themen werden immer offener diskutiert, und inmitten dieser aufregenden Ära der Innovationen bleibt auch die Psychologie nicht unberührt. Ein Interview mit dem Psychologen Marcel Moses öffnet uns die Tür zu einem faszinierenden Universum der Gedanken und Emotionen. Marcel übersetzt psychologische Konzepte auf Social Media in eine Sprache, die zugänglich und verständlich für jedermann ist. Doch wer ist diese Person, die mit kreativer Leidenschaft und einem tiefen Verständnis der menschlichen Psyche die digitale Bühne erobert?
Lieber Marcel, erzähle uns doch erst mal ein wenig von dir. Du übersetzt psychologische Themen auf Social Media in kurzer und verständlicher Weise. Wie bist du dazu gekommen und was hat dich dazu motiviert, diese Herangehensweise zu wählen?
Mein Name ist Marcel Moses (geb. Aygün), ich bin in Delmenhorst geboren und aufgewachsen, arbeite aktuell als Psychologe in Berlin und viele kennen mich und meine Arbeit wegen meines Psychologie-Contents auf Social Media. Ich habe soziale Medien schon immer genutzt, um mich kreativ auszudrücken und habe bereits während meines Psychologie-Studiums in Hamburg freiberuflich im Social Media-Bereich gearbeitet. Ich war zum Beispiel lange Zeit Social Media-Host eines großen Musik-Labels und habe auch in meinen eigenen Insta-Stories unterschiedliche Formate bespielt, die vor allem unterhalten und ablenken sollten. Nach meinem Master-Studium bin ich 2019 nach Berlin gezogen, wo ich ab 2020 natürlich nicht von der Pandemie und den damit verbundenen Lockdowns verschont geblieben bin. In dieser Zeit habe ich gemerkt, was für ein großes Interesse an psychologischen Themen besteht, vor allem, da viele Menschen in dieser Zeit selbst unter psychischen Problemen gelitten haben. Deshalb habe ich auf TikTok und Instagram Reels damit angefangen, Themen rund um die Psyche, Beziehungen und Selbstfürsorge in kurzen Videos zusammenzufassen. Seitdem bin ich nicht mehr nur analog, sondern auch digital als Psychologe tätig und versuche psychologische Themen niedrigschwellig und mit Humor zu kommunizieren, um sie so verständlich und greifbar zu machen.
Würdest du uns einen Einblick in deinen Arbeitsprozess geben? Wie bereitest Du das Material vor und wie gestaltest du letztendlich die Inhalte?
Mein Arbeitsprozess ist nicht standardisiert, weshalb jedes Video und die jeweilige Vorbereitung individuell ist. In einigen Fällen nutze ich Wissen, dass ich aus dem Studium erlangt habe, in anderen Fällen lasse ich mich von persönlichen Erfahrungen inspirieren. Immer steht jedoch ein Thema im Mittelpunkt, wie zum Beispiel die Frage „Was ist eine hochfunktionale Depression?“. Um diese Frage zu beantworten, recherchiere ich zum jeweiligen Themengebiet und erstelle ich mir ein kurzes Skript mit Informationen rund um das Thema. Daraufhin beginne ich mit der Aufzeichnung der Videos, in denen vieles improvisiert ist und sich spontan ergibt. Mein oberstes Ziel ist dabei immer, die oftmals schweren Themen so leicht, niedrigschwellig und unterhaltsam wie möglich rüberzubringen und dabei Selbstreflexion anzuregen.
Als Psychologe hast du die Fähigkeit, komplexe Themen für ein breites Publikum verständlich zu erklären. Inwiefern glaubst du, dass diese vereinfachte Darstellung dazu beitragen kann, das Bewusstsein für psychische Gesundheit zu erhöhen und das Stigma rund um psychologische Störungen zu reduzieren? Welche Verantwortung siehst du als Psychologe dabei, sicherzustellen, dass die Informationen, die du vermittelst zwar kurz, aber auch korrekt sind, ohne wichtige Details zu vernachlässigen?
Unsere Psyche ist sehr komplex und es gibt nicht zu jedem Thema eine allgemein-gültige Lösung für alle Menschen. Die Behandlung von psychischen Problemen gestaltet sich von Person zu Person unterschiedlich – das kann ich mit Videos auf Social Media nicht gewährleisten und ist auch nicht mein Anspruch. Es besteht jedoch nach wie vor bei vielen Menschen eine große Sorge und Angst davor, sich mit der eigenen Psyche auseinanderzusetzen. Nicht nur, weil nach wie vor ein großes Stigma rund um mentale Gesundheit und Therapie besteht, sondern auch, weil die Vorstellung davon, sich mit den eigenen negativen Erfahrungen und Gefühlen auseinanderzusetzen, sich wie eine sehr schwierige, herausfordernde und oft auch scheinbar unlösbaren Aufgabe anfühlt. Durch Videos von Expert:innen auf Social Media kann diese Angst vielleicht ein wenig genommen werden und ein Bewusstsein für mentale Gesundheit entstehen. Jedoch sollten sowohl Creator:innen wie ich, als auch Konsument:innen der Inhalte sich bewusst machen, dass kein Video im Internet „echten“ Kontakt mit Psycholog:innen oder Therapeut:innen ersetzen kann. Solche Inhalte können aber ein guter Startpunkt sein, Selbstreflexion anregen und im besten Falle dazu führen, dass man sich im echten Leben professionelle Hilfe sucht. Nicht jedes Video kann jedes Detail zu einem bestimmten Thema abdecken, ich lege aber sehr viel Wert auf Community Management und versuche unter anderem in den Kommentaren oder im persönlichen Kontakt mit Follower:innen vertiefte Einblicke in die vermittelten Themen zu geben.
Als jemand, der selbst aktiv in den sozialen Medien, insbesondere auf TikTok, präsent ist, was ist deine Meinung zu der neugewonnenen Sichtbarkeit von mentalen Themen auf diesen Plattformen. Siehst du dies als hilfreich, um Bewusstsein für psychische Gesundheit zu schaffen? Oder siehst du eine Gefahr darin, dass ernste Begriffe wie ’narzisstisch‘, ‚toxisch‘ oder ‚depressiv‘ zu leichtfertig verwendet werden, wodurch die Ernsthaftigkeit dieser Störungsbilder verwässert, werden könnten?
Wenn Begriffe wie „narzisstisch“, „toxisch“ oder „depressiv“ zu inflationär und in keinem passenden Kontext benutzt werden, kann das letztendlich dazu führen, dass bestimmtes Verhalten oder bestimmte Situationen fälschlicherweise mit einem Störungsbild in Verbindung gebracht werden, obwohl es sich um ganz „normale“ und unbedenkliche Situationen oder Interaktionen handelt. Man diagnostiziert sich und die eigene Umgebung, obwohl wir Diagnosen den Expert:innen überlassen sollten. Zudem hat das Auswirkungen für Betroffene, denn bei einer Depression beispielsweise handelt es sich um eine klinisch relevante und behandlungsbedürftige Erkrankung, die nicht damit gleichzusetzen ist, dass man mal einen schlechten Tag hat. Diese inflationäre Verwendung von psychologischen Begriffen kann letztendlich also dazu führen, dass tatsächlich Betroffene sich nicht mehr ernstgenommen fühlen und sich noch weiter zurückziehen. Ich denke, dass Social Media dieses Problem mit der Vielzahl an Selbstfürsorge- und Mental Health-Content in gewissen Teilen verstärkt, doch auch lange vor Social Media wurden Menschen fälschlicherweise als „schizophren“, „gestört“ oder „narzisstisch“ betitelt. Es liegt definitiv in der Verantwortung aller Creator:innen, solche Begriffe bedacht und kontextualisiert zu verwenden und sie nicht zu romantisieren oder zu vereinfacht darzustellen. Genau so sollte jeder Einzelne aber auch im Privaten darauf achten, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und nicht immer alles in bestimmte Kategorien einzuordnen. Insgesamt sehe ich Mental Health-Content auf Social Media aber als große Chance, um das vorhandene Stigma rund um mentale Gesundheit abzubauen.
Beobachtest Du, dass ältere Generationen immer noch vorsichtiger mit Themen der mentalen Gesundheit umgehen, da sie nicht mit dieser Sichtbarkeit aufgewachsen sind? Glaubst Du, dass sich ältere Generationen auf diese neue Sichtbarkeit einlassen können, oder ist es für diejenigen, die bereits damit aufwachsen, einfacher, sich damit zu identifizieren und darauf einzugehen?
Ich denke, dass sich ältere Generationen trotz ihrer unterschiedlichen Sozialisierung in Bezug auf mentale Gesundheit noch immer für dieses Thema öffnen können und auch sollten. Vor allem in der Berufswelt müssen oft mehrere Generationen in einem Team zusammenarbeiten und da bestehen bei „Millenials“ oder der „Generation Z“ häufig andere Bedürfnisse als bei den „Baby Boomern“. Deshalb sollten wir einander zuhören und uns für Themen öffnen, mit denen wir bisher noch nicht in Berührung getreten sind, vor allem, wenn es sich um mentale Gesundheit handelt. Das ist für Menschen, die mit dieser neuen Sichtbarkeit aufwachsen sicherlich einfacher als für Personen, bei denen diese Themen immer tabuisiert wurden. Doch ich denke, dass sich diese Anstrengung und das aufeinander zugehen langfristig lohnt!
Glaubst du, dass ältere Generationen jemals offen über mentale Themen sprechen werden?
Davon bin ich fest überzeugt, auch wenn ich denke, dass es noch ein langer Weg ist, bis mentale Gesundheit in der Gesellschaft den gleichen Wert wie körperliche Gesundheit haben wird. Es liegt in gewisser Weise in unserer eigenen Verantwortung, als gutes Vorbild heranzugehen und diesen Themen Platz einzuräumen – ohne Bewertung und Verurteilung! Die Generation unserer Eltern hatte vielleicht nicht immer einen Safe Place, um über diese Themen zu sprechen. Wir können aber ein erster Safe Place für sie werden und so gemeinsam wachsen.
Psychologie stellt sowohl für angehende Therapeut*innen als auch für potenzielle Patient*innen oft eine Hürde dar. Angehende Psychologiestudierende benötigen einen bestimmten Notendurchschnitt und ausreichend finanzielle Mittel, um sich die Ausbildung leisten zu können. Patient*innen wiederum benötigen neben dem Mut, sich Hilfe zu suchen, oft auch die finanziellen Mittel, um Therapie in Anspruch nehmen zu können. Glaubst du, dass Social Media hier eine Lösung für beide Parteien sein kann? Könnten Plattformen wie TikTok eine barrierefreiere Alternative zu herkömmlichen Therapiesitzungen bieten?
Nein, ich denke nicht, dass die Lösung für die fehlende Verfügbarkeit von Therapie und den schwierigen Weg für Psychologie-Student:innen Social Media ist! TikTok ersetzt in keinem Fall herkömmliche Therapiesitzungen. Auch wenn Content zu mentaler Gesundheit viele Menschen in der Wartezeit für eine Therapie stabilisieren oder inspirieren kann, sollte jede Person sich bei psychischen Problemen Rat im echten Leben holen. Auch wenn die Wartelisten für Psychotherapie immer länger werden, kann es schon helfen, wenn man sich in seinem freundschaftlichen oder familiären Umfeld mitteilt und Unterstützung sucht. Auch lohnt es sich, sich um einen Therapie-Platz zu bemühen, auch wenn einem leider nicht immer direkt geholfen werden kann. Die Lösung ist, dass das Gesundheitssystem sich weiterentwickelt, es mehr Kassensitze für Psychotherapeut:innen gibt und Krankenkassen sich Konzepte dafür überlegen sollten und müssen, wie sie Therapie und psychologische Beratungen niedrigschwellig verfügbar machen. Mental Health Content auf Social Media kann dabei helfen, Therapie-Inhalte zu vertiefen, nochmal zu reflektieren oder sich in einer akuten Situation verstanden zu fühlen. Jedoch ersetzt dieser Content keine professionelle Hilfe.
Mit der zunehmenden Sensibilisierung für mentale Themen kommt es auch immer häufiger vor, dass Menschen Selbst-Diagnosen stellen. Inwiefern denkst du, dass dies die Arbeit von Therapeut*innen erschwert oder erleichtert?
Wenn wir online Videos zu einem bestimmten Krankheitsbild sehen und uns damit identifizieren, ist das zunächst nichts Schlimmes, da es Selbstreflexion anregen kann und im besten Falle dazu führt, dass wir uns mit unserem Umfeld zu diesen Thema austauschen und dieses für uns einordnen. Das kann auch in einer Therapie hilfreich sein, da man so eigene Muster und Trigger erkennen und mit den jeweiligen Therapeut:innen behandeln kann. Es könnte dann schwierig werden, wenn der Content Patient:innen retraumatisiert oder sie so sehr triggert, dass es letztendlich zu einer Destabilisierung kommt. Doch solange ein konstruktiver Austausch zwischen Therapeut:innen und Patient:innen gegeben ist, sehe ich die zunehmende Sensibilierung zu mentalen Themen als Chance!
Das Imposter-Syndrom wird oft als Ergebnis des Leistungsdrucks betrachtet, denen Menschen ausgesetzt sind. Aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsweisen, denen verschiedene Generationen ausgesetzt sind, könnte sich gerade das Imposter-Syndrom bei verschiedenen Generationen unterschiedlich stark ausprägen. Wie siehst du den Zusammenhang zwischen dem Imposter-Syndrom und der unterschiedlichen Arbeitsweise der Generationen? Gibt es spezifische Merkmale oder Faktoren in der Arbeitskultur der Generationen, die das Imposter-Syndrom beeinflussen könnten? Und wie können wir Menschen aus verschiedenen Generationen dabei unterstützen, mit dem Imposter-Syndrom umzugehen und ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln?
Das Imposter-Syndrom beschreibt bekanntlich das Gefühl, dass man trotz objektiver Erfolge oder Qualifikationen die eigene Kompetenz anzweifelt und sich wie ein:e Betrüger:in oder ein:e Hochstapler:in fühlt. Unterschiedliche Arbeitsweisen und -kulturen haben definitiv Auswirkungen auf das Auftreten des Imposter-Syndroms.
Ältere Generationen, insbesondere “Baby-Boomer” oder ältere Mitglieder der “Generation X“, sind häufig in einer Arbeitsumgebung aufgewachsen, die eine starke Hierarchie und klare Rollenverteilungen hatte. In solchen Strukturen konnte man sich oft an festen Regeln und Erwartungen orientieren, was das Gefühl von Sicherheit und Beständigkeit bestärkt hat. In dieser Art von Umgebung könnte das Imposter-Syndrom möglicherweise weniger verbreitet sein, da Erwartungen und Maßstäbe klarer definiert waren. Jüngere Generationen, wie die Millennials und die Generation Z, sind in einer schnelllebigen und sich ständig verändernden Arbeitswelt aufgewachsen, in der Flexibilität, Agilität, Multitasking und ständiges Lernen gefragt sind. In solchen Umgebungen können die Erwartungen und Anforderungen oft vage oder nicht klar definitert sein, was zu einem erhöhten Druck führen kann, die eigenen Fähigkeiten ständig unter Beweis stellen zu müssen. Um Menschen aus verschiedenen Generationen dabei zu unterstützen, besser mit dem Imposter-Syndrom umzugehen und ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln, sollten wir sensibilisieren, indem wir über das Imposter-Syndrom aufklären und Unterstützungssysteme einrichten, denn es ist hilfreich, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, in dem Menschen offen über ihre Ängste und Unsicherheiten sprechen können. Mentoring-Programme, Coachings und Peer-Beratung können dabei sehr hilfreich sein. Zudem benötigt es Ressourcen und Schulungen, die den Umgang mit dem Imposter-Syndrom behandeln und Strategien zur Stärkung des Selbstvertrauens vermitteln. Wichtig ist auch die Anerkennung von Leistungen und Wertschätzung von Erfolgen.
Gibst es nächste Projekte oder etwas worauf du dich besonders freust?
Es gibt einige Projekte, die anstehen undauf die ich mich sehr freue, über die ich aber noch nicht sprechen darf! Wenn es so weit ist, werde ich es aber selbstverständlich auf meinen Social Media-Kanälen ankündigen!