In der Flut von roten Herzen und verliebten Pärchen, die der Valentinstag mit sich bringt, werden viele von uns mit der Frage konfrontiert: Warum fühlt es sich an, als müsste man in einer Beziehung sein, um vollständig zu sein? Diese Frage, verstärkt durch die dritte Dating-App, die viele gerade heruntergeladen haben, bringt uns dazu, unsere Haltung zu romantischen Beziehungen zu hinterfragen. Warum geben wir dem Konzept der romantischen Liebe so viel Macht, wenn Beziehungen unsere Probleme nicht lösen, sondern nur verändern? Warum wird das Single-Sein oft als ein vorübergehender Zustand betrachtet, den es zu überwinden gilt? Und noch wichtiger, wie könnte eine Gesellschaft aussehen, die eine Haltung der „Beziehungsneutralität“ annimmt, in der der Beziehungsstatus eines Menschen nicht als Indikator für Glück oder Erfolg gewertet wird?
Die Annahme, dass eine romantische Zweierbeziehung das ultimative Lebensziel ist, reicht weit in die Geschichte zurück. Schon Platons „Symposion“ erzählt von der Suche nach unserer anderen Hälfte, als wären wir nur zusammen mit jemand anderem vollständig. Diese Idee hat sich tief in unser kollektives Bewusstsein eingegraben.
Doch in einer Zeit, in der die Scheidungsraten hoch sind und immer mehr Menschen bewusst alternative Beziehungsformen wählen, muss gefragt werden: Warum wird das Single-Dasein noch immer als vorübergehender Zustand betrachtet, der „korrigiert“ werden muss? Die Psychologin und Autorin Bella DePaulo hat in ihrer Forschung aufgezeigt, dass Menschen, die glücklich single sind, oft negativer wahrgenommen werden als jene, die in einer Beziehung sind oder aktiv eine suchen. Dies legt nahe, dass unsere Gesellschaft dazu neigt, Menschen nach ihrem Beziehungsstatus zu beurteilen und dabei oft vergisst, dass Glück und Erfüllung individuell definiert werden.
Ein zentraler Punkt in dieser Diskussion ist die Rolle der unbezahlten Care-Arbeit, die traditionell von Frauen geleistet wird. Diese Arbeit ist ein Eckpfeiler des kapitalistischen Systems, wie die Philosophin und Aktivistin Silvia Federici bereits 1975 feststellte: „Sie nennen es Liebe, wir nennen es unbezahlte Arbeit.“ Die Ökonomin Gaëlle Ferrant bestätigte 2014, dass Frauen immer noch den Großteil der unbezahlten Arbeit leisten. Dies unterstreicht, wie tief die Verbindung zwischen romantischen Beziehungen, Geschlechterrollen und wirtschaftlichen Strukturen ist.
In einer Welt, die von Leistung und Erfolg angetrieben wird, wird der Beziehungsstatus, insbesondere für Frauen, zu einem privaten Erfolgsmassstab. Aber was, wenn wir beginnen würden, Beziehungsneutralität zu praktizieren? Wie würde eine Gesellschaft aussehen, die den Beziehungsstatus eines Menschen nicht bewertet und stattdessen die Vielfalt menschlicher Beziehungen feiert?
Diese Fragen fordern uns heraus, über die tief verwurzelten Normen und Werte nachzudenken, die unsere Vorstellungen von Liebe und Beziehungen prägen. Sie laden uns ein, sich eine Welt vorzustellen, in der Menschen frei von dem Druck sind, bestimmte Lebenswege zu verfolgen, und in der jeder Mensch für seine individuellen Entscheidungen Wertschätzung erfährt. Indem wir den Fokus weg von der Notwendigkeit einer romantischen Beziehung und hin zu einem Leben voller vielfältiger und erfüllender menschlicher Verbindungen verschieben, könnten wir eine Gesellschaft schaffen, die jeden Menschen in seiner Ganzheit würdigt.
Elyakim Kislev, ein Soziologe, der das Alleinleben untersucht hat, argumentiert, dass das Aufbauen von sozialen Netzwerken und Gemeinschaften außerhalb der monogamen Beziehung Menschen im Alter Gesellschaft bieten kann, ohne dass sie auf eine romantische Partner*innenschaft angewiesen sind. Diese Perspektive öffnet die Tür zu einem Leben, in dem Freundschaften und Gemeinschaften genauso wertvoll sind wie romantische Beziehungen.
Letztendlich geht es darum, eine Kultur zu fördern, in der wir nicht nach unserem Beziehungsstatus beurteilt werden, sondern nach unserem Beitrag zu einer unterstützenden und liebevollen Gemeinschaft. In einer Welt, die von Unsicherheit und Wandel geprägt ist, könnte eine solche Verschiebung in unserer Haltung zu Beziehungen nicht nur unsere persönlichen Lebenswege bereichern, sondern uns stattdessen ermutigen, die Vielfalt menschlicher Verbindungen zu feiern und so zu einer gerechteren und integrativeren Gesellschaft führen.