„Es war der Sprung ins kalte Wasser, und das Wasser war sehr kalt.“ Der Kontrast könnte größer kaum sein: ein Branchenwechsel von der Versicherungsindustrie zum Mobilitätsanbieter, von Industrieversicherungen zur Nachrichtentechnik. Genau diesen Schritt vollzog Stephanie Kleipaß mit ihrem Wechsel zur Deutschen Bahn. Im GDW-Interview spricht Stephanie über ihre Karriere in den unterschiedlichen Branchen, warum sie sich dafür entschied, zur Deutschen Bahn zu wechseln, über ihre Erfahrung in ihrer neuen Rolle und über Diversität in Teams, insbesondere im technischen Umfeld.
GDW: Liebe Stephanie, bevor du zur Deutschen Bahn gewechselt bist, hast du in der Versicherungsindustrie gearbeitet. Was genau hast du dort gemacht?
Stephanie: Ich war tatsächlich über zehn Jahre in der Versicherungsbranche. Davor war ich als Beraterin unter anderem in dem Unternehmen tätig, in das ich später gewechselt bin. Das war der klassische Exit: raus aus der Beratung und rein in die Industrie. Angefangen habe ich als Assistentin des CEO. Anschließend bin ich in die Vertriebssteuerung Deutschland gewechselt und habe dort in diversen strategischen Projekten gearbeitet. Etwa fünf Jahre lang war ich dann im internationalen Business Development sowie Großprojekt-Management unterwegs. Zuletzt habe ich in einem Unternehmensbereich das Portfoliomanagement geleitet. Mein Team und ich hatten dabei die Aufgabe, die verschiedenen Großkundenverträge zu bewerten und in Einklang mit der Unternehmensstrategie zu bringen.
Das klingt nach viel Verantwortung. Warum der Wechsel zur Deutschen Bahn?
Mein Team und ich haben im Bereich Industrieversicherung gearbeitet, also Versicherungen für große Unternehmen und Konzerne. Und da ist es so, dass, wenn du dich weiterentwickeln möchtest, du dich bewusst für eine bestimmte Sparte entscheiden musst: beispielsweise Haftpflicht, Feuer oder in meinem Fall Transport. Das heißt aber auch, dass es ab einem gewissen Punkt schwer ist, in ein anderes Thema einzusteigen.
Wahrscheinlich hat an diesem Punkt meiner Karriere meine Neugier für eine andere Branche dann doch überwogen: Bei der Deutschen Bahn kann ich an sehr aktuellen und gesellschaftlich relevanten Themen, wie dem Erreichen der Verkehrsverlagerung, arbeiten und meinen Teil dazu beitragen. Die Möglichkeit, meinen Horizont noch zusätzlich, um die technische Facette zu erweitern, habe ich gerne als Herausforderung angenommen.
Vielleicht ist dies aber auch wirklich der rote Faden in meinem Lebenslauf, den ich schon in der Beratung und diversen Strategieprojekten vorher erlebt habe: Das Managen von breit aufgestellten relevanten Themen und die Bereitschaft stetig dazuzulernen. Diese Chance hat die Deutsche Bahn mir gegeben.
Wie genau verlief dein Weg zur Deutschen Bahn?
Ich bin zunächst von einem Kontakt aus meinem Netzwerk auf eine Stelle bei der DB aufmerksam gemacht worden. Das war allerdings nicht der Job, den ich jetzt mache. Als ich dann den Bewerbungsprozess durchlaufen habe, gab es ein Erstgespräch mit dem Recruiting, in dem ich am Ende gefragt wurde, ob es denn unbedingt diese Stelle sein müsse oder ob ich mir nicht auch etwas anderes im Konzern vorstellen könne. Weil ich da recht offen war und die Recruiterin der Ansicht war, dass sie eine Stelle mit einem besseren Fit hätte, habe ich mir das einfach mal angehört. Jetzt ging es da um Mobilfunk und Technik – eigentlich bisher so gar nicht mein Thema. Und als BWL-Absolventin … na ja. Ich war also schon ein bisschen skeptisch, habe aber dennoch meinen jetzigen Fachbereich kennengelernt. Übrigens arbeite ich bis heute eng mit dieser Recruiterin zusammen und erlebe, wie sie alle Profile genau analysiert und mit dem bestmöglichen Fachbereich matcht. Bei mir ging es dann so weiter, dass ich eine Reihe Gespräche hatte. Was mich aber letztendlich überzeugt – und auch beeindruckt – hat, war ein Tag mit dem Team. Ich konnte wirklich viele der zukünftigen Kolleg*innen persönlich treffen und mich mit ihnen einfach mal unterhalten. Am Ende hatte ich dann aber so ein klares Bild von der neuen Rolle, dass meine Skepsis deutlich kleiner war. Das hat mir dann den letzten Schubs gegeben und ich habe mich letztendlich für die DB entschieden.
Was sind die größten Unterschiede, die du bislang zwischen den beiden doch jeweils recht andersgearteten Branchen festgestellt hast?
Ich fange mal bei der Gemeinsamkeit an: Die Leute beschweren sich immer nur dann, wenn etwas aus ihrer Sicht nicht läuft. Wenn du deine Versicherung brauchst und merkst, dass dein Fall nicht abgedeckt ist. Oder jetzt, wenn sich ein*e Kund*in beschwert, weil die Bahn nicht pünktlich kommt oder es keinen Mobilfunkempfang in den Zügen gibt. Aber im Fall der Bahn handelt es sich um ein Produkt, dessen Basissystem hochkomplex ist und bei dem jeden Tag zahlreiche operative Themen und Herausforderungen auftauchen, die einfach gemacht werden müssen. Ich selbst arbeite zwar im Innovationsbereich im Technik-Ressort, wo wir uns um Zukunftsthemen kümmern; aber diese operativen Herausforderungen sind für jemanden, der wie ich aus dem Dienstleistungsbereich kommt, schon die größte Veränderung. Denn das Produkt, genauso wie das komplexe System drumherum, muss einfach laufen und alle Rädchen müssen ineinandergreifen. Ein weiterer Unterschied ist die Tatsache, dass es hier am Ende um Leib und Leben gehen kann. Wie ich schnell feststellen musste, gibt es deswegen zahlreiche Richtlinien, Regelungen, Vorgaben etc. Es gibt eben einen guten Grund, warum ein Funkmast beispielsweise nicht so nah am Gleis gebaut sein darf, wie es vielleicht ideal wäre. Natürlich kann man solche Hintergründe hinterfragen, aber normalerweise gibt es eine gewisse Logik, warum Regelungen und Richtlinien so sind wie sie sind. Das zu verstehen und anzuerkennen und sich gleichzeitig in einem innovativen Umfeld einzufinden, war schon eine Änderung im Vergleich zu meiner bisherigen Arbeitsweise. Der eigentliche Punkt ist aber, dass ich hier bei der DB trotz der hohen Komplexität und einer Menge Regeln dennoch das Gefühl habe, gute Lösungen zu finden, und zwar direkt für die Menschen, die in den Zügen unterwegs sind. Die beschweren sich nämlich zu Recht, dass sie keinen Empfang haben. Und die Projekte, an denen ich hier arbeite, die werden das ändern.
Zum Thema „Dinge zum Positiven ändern“: Welche Werte sind dir bei deiner beruflichen Arbeit darüber hinaus noch besonders wichtig?
Ich muss auf jeden Fall eine gewisse Sinnhaftigkeit in meiner Arbeit sehen und die Bahn steht für grünen Verkehr sowie Klima- und Gesellschaftswandel. Eine sinnstiftende Arbeit und die Möglichkeit, sich mit dem Purpose, zu identifizieren und nicht zuletzt eine Verantwortung zu haben, sich aber auch frei entfalten zu können, nicht micro-gemanagt zu werden ist mir extrem wichtig. Dazu gehört auf der anderen Seite auch, wenn mal etwas nicht so läuft oder man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, Rückendeckung und eine gewisse Guidance zu bekommen. Diesen Übergang gut hinzubekommen, also wann kann ich alleine loslaufen und wann sollte ich besser mal jemanden fragen, war für mich beim Wechsel ein wichtiger Punkt. Insbesondere weil ich mich als Externe erst einmal in den Bahn-Konzern einfinden musste, war es für mich extrem wertvoll, sowohl meine Kolleg*innen als auch meinen Chef zu haben, die mir das Vertrauen gaben, mich innerhalb dieses austoben zu können und zu dürfen, aber an der ein oder anderen Stelle auch einen Tipp parat hatten, was ich anders machen sollte. Dazu gehört auch eine gute Fehlerkultur – klar, geht mal was schief und das ist im Zweifel echt Mist, aber die Frage ist immer, wie man im Team damit umgeht. Mindestens genauso wichtig sind aber Teamwork, Kommunikation und Feedback.
War es Liebe auf den ersten Blick oder was genau hat dich am Ende dazu motiviert, den Schritt zu wagen?
Das kommt darauf an, wen man fragt! (lacht) Also menschlich hat das sofort gepasst. Schon im ersten Online-Interview waren ein guter Vibe und eine gute Energie da. Das hat sich im persönlichen Treffen dann sofort bestätigt. Im Grunde war ich es, die aufgrund der Fachlichkeit ihre Zweifel hatte, die ich auch offen geäußert habe. Ich hatte einerseits Bedenken, weil ich eben keinen technischen Hintergrund habe, und andererseits einen vorgezeichneten, sicheren Weg verlasse. Es gab also gleich mehrere Baustellen und ich musste mir zunächst bewusst machen, ob ich wirklich meine Komfortzone verlassen und ins kalte Wasser springen will – und das Wasser war sehr kalt. Und zum Teil ist es immer noch sehr kalt! (lacht) Mein Chef hat mir allerdings von Anfang an glaubhaft versichert, dass er genug Nachrichtentechniker*innen hätte und gerade Personen wie mich braucht, die einen übergreifenden Blick haben und die auch mal wo gegentreten – denn aus technischer Perspektive ist vieles immer verhältnismäßig einfach – technische Lösungen gibt es fast immer. Aber genau in diesen Momenten muss man Fragestellungen auf eine andere Ebene heben und verschiedene andere Aspekte bedenken. Das waren alles die Dinge, die ich zwar mitbrachte, aber dennoch brauchte ich dann noch drei, vier, fünf weitere Runden, bis ich mich für den Wechsel entschieden habe. Der Schlüsselmoment war dann das Treffen mit dem – damals potenziellen – neuen Team in Frankfurt, bei dem ich einen Kollegen kennenlernte, der wie ich keinen nachrichtentechnischen Hintergrund hatte. Der sagte mir, dass man das alles hinkriegt und die Technik-Expert*innen, die tief in die Themen einsteigen können, einem bei technischen Fragen immer gut weiterhelfen, aber andersrum tatsächlich auch diese komplementären Eigenschaften brauchen. Als ich aus dem Meeting rauskam, wusste ich, dass meine Entscheidung klar war.
Welche Momente sind es, in denen du merkst, dass du aufgrund deiner Vorerfahrung in einer anderen Branche anders auf Dinge blickst oder Probleme anders angehst?
Es liegt wahrscheinlich gar nicht so sehr daran, dass ich Erfahrungen in einer anderen Branche gemacht habe, sondern vielmehr daran, dass ich als „Nicht-Techi“ mehr den Gesamtblick einnehme und überlege, was denn noch fehlt neben den ganzen technischen Diskussionen. In den meisten Projekten liegen die Schwierigkeiten auch rechts und links der eigentlichen Technologiediskussion. Wie passt eine Lösung zur Firmenstrategie? Wie sieht die rechtliche und regulatorische Seite aus? Gibt es Finanzierungsaspekte, die man mitbetrachten muss?
Aber es gibt auch Momente, und das liegt tatsächlich an meiner anderen Branchenerfahrung, in denen ich merke, dass ich immer vom Kunden ausdenke. Ich komme letztlich aus einem Dienstleistungssektor – sowohl in der Beratung als auch in der Versicherungsbranche hast du kein cooles Produkt, das du anfassen kannst und bei dem die Emotionen mitverkauft werden. Es ist sogar noch schlimmer: Überspitzt gesagt, sind Versicherungen Produkte, die ja kein Mensch will und für die er aber zahlen muss. Man kauft sie in der Hoffnung, dass man sie nie braucht. Und am Ende bleibt häufig nur der Eindruck, wenn man sie braucht, reicht die Abdeckung nicht aus. Darum bin ich es gewohnt, von den Kund*innen aus zu denken und zu fragen: Was brauchen sie? Wie ändern sich ihre Bedürfnisse? In meinem speziellen Fall erwarten unsere Fahrgäste natürlich, dass sie pünktlich ankommen und ihre Zeit im Zug nutzen können – sei es durch Streamen, Arbeiten, Surfen. Dafür muss die Mobilfunkversorgung am Gleis und in den Zügen verbessert werden und genau darum kümmere ich mich mit meinen Kolleg*innen in Zusammenarbeit mit der Mobilfunkindustrie.
Du hast nicht nur durch deinen beruflichen Hintergrund eine andere Perspektive, sondern arbeitest auch als Frau in einem technischen, meist von Männern dominierten Umfeld. Welche Erfahrung machst du in dieser Hinsicht?
Es kommt vor, dass ich in Meetings die einzige Frau bin. Das kommt zu einem großen Teil dadurch zustande, dass die technischen Berufe nach wie vor eher männerdominiert sind. Von daher kann ich alle Frauen, die technikbegeistert sind, nur dazu aufrufen, sich auch in die Richtung zu entwickeln, denn es gibt wirklich viele spannende Möglichkeiten. Und, wie ich schon gesagt habe, glaube ich, dass es unglaublich wichtig ist, eine Perspektivenvielfalt in Unternehmen zu haben – ganz egal, ob es unterschiedlichen Backgrounds oder der Vorerfahrung geschuldet ist, oder am Geschlecht oder anderen Faktoren liegt. Man sieht aktuell mehr denn je, dass verschiedene Blickwinkel, die zusammenkommen, oftmals zu einer besseren Lösung führen, als wenn gleiche Fachleute mit den gleichen Denkmustern zusammensitzen. Und nach meiner Erfahrung bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass diverse Teams die erfolgreicheren sind.
Hier ändert sich gerade auch sehr viel. Dazu eine lustige Anekdote: Als ich noch im Bewerbungsprozess war, habe ich die Frage gestellt, wie viele andere Frauen denn im Team sind. Da sagte man mir, dass ich im Grunde die erste bin, zumindest bei den Projektleiter*innen. Mittlerweile sind wir schon sechs Frauen bei insgesamt gut 20 Kolleg*innen und ich bin jetzt gerade ein knappes Jahr da. Es tut sich also einiges.
Wie würdest du rückblickend deinen Wechsel bewerten? Hat sich dein Mut, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, am Ende gelohnt?
Auf jeden Fall! Wie schon gesagt, war das Wasser am Anfang super kalt und ist es manchmal immer noch – ich habe ja im dreifachen Sinne gewechselt: Branche, Konzern und Funktion. Aber ich konnte meinen Fokus extrem erweitern, lerne jeden Tag dazu und arbeite an total spannenden, gesellschaftsrelevanten Themen, bin in einem tollen Team und einem super Konzern unterwegs – von daher kann ich diese Frage dreifach bejahen.