„Geld allein, macht nicht glücklich.“ Jede Person, die in Armutsverhältnissen aufwachsen musste, weiß, dass das nur Menschen sagen, die schon immer genug Geld hatten. Kommt man aus sozial schwachen Verhältnissen, fehlt es allerdings nicht nur an Geld. Allem voran fehlt es an beruflichen Perspektiven, am Netzwerk, an Vorbilder*innen. Es fehlt sogar an der richtigen Sprache. Unsere Gründerin Tijen Onaran weiß das aus eigener Erfahrung. Die Unternehmerin mit Migrationsvordergrund hat sich auf ihrem Karriereweg zwischen all den Thomas Müllers und Hans Peters, die durch gemeinsame Tennisspiele miteinander vernetzt sind, immer wieder wie eine Außerirdische gefühlt. Wie kann man also den wichtigen, inoffiziellen Meetings auf dem Golfplatz beiwohnen, wenn man noch nie einen Golfschläger in der Hand hatte?
SITUATION IN DEUTSCHLAND
Die Aufstiegschancen hängen in Deutschland nach wie vor erheblich vom Bildungsstand der Eltern ab. Das belegt das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) mit der Studie „Berechnung der sozialgruppenspezifischen Bildungsbeteiligungsquoten“. Von 100 Kindern aus Nicht-Akademiker*innenfamilien beginnen nur 27 ein Studium. Haben die Eltern einen Hochschulabschluss, sind es dagegen 79 von 100. Die Chance für Akademiker*innenkinder ist also rund dreimal größer. Grundsätzlich studieren in Deutschland mittlerweile fast die Hälfte aller Kinder. Das bedeutet im Umkehrschluss, wenn 50% der in Deutschland lebenden Jugendlichen einen akademischen Abschluss und Abitur haben, ist dieser einst prädestinierte Abschluss nicht mehr ausschlaggebend, um Karriere zu machen. Was braucht es also? Vitamin B und gesellschaftlich erlernte soft skills. Man braucht soziale Beziehungen. „Du bist das, was dir deine Eltern mitgeben.“ Dieses Motto gilt überall auf der Welt. Im Vergleich zu anderen Ländern wie Schweden und China, wo der berufliche Fokus mehr auf Leistung, statt auf ein akademisches Elternhaus liegt, steht das Wirtschaftsstarke Deutschland schlecht dar. Wenn Kinder aus Arbeiter*innenfamilien die Oberstufe besuchen, tun sie das deutlich häufiger an berufsbildenden Schulen als Akademiker*innenkinder. Bei Schüler*innen mit Migrationsgeschichte, spielt die soziale Herkunft eine noch größere Rolle als bei Personen ohne Migrationshintergrund. Veränderungen hat es in den vergangenen Jahren kaum gegeben. Ein neuer Bericht von Totaljobs und der Social Mobility Foundation zeigt, wie ein Mangel an beruflichem Selbstvertrauen Menschen aus niedrigeren sozioökonomischen Verhältnissen davon abhält, sich auf Stellenangebote zu bewerben. Von denjenigen, die ihren ersten Job in den letzten zwei Jahren angetreten haben, gaben nur 50 % aus Nicht-Akademiker*innenfamilien an, dass sie zuversichtlich seien, irgendwann den Job machen zu können, den sie wollen. Dies steht im Gegensatz zu 71 % der Personen mit privilegierterem, beruflichem Hintergrund. Diese Kluft hat sich seit der Pandemie sogar vergrößert. Der Soziologe Aladin El-Mafaalani sagt dazu, „Sozialer Aufstieg ist ein schmerzhafter Prozess. Man muss es aushalten können, Außenseiter*in zu sein“.
DON’T GIVE UP!
„Meine Eltern haben deshalb immer und immer Mantra artig gesagt: mach deinen Abschluss, hab was in der Tasche – und auch das ‚du musst mehr machen, dich mehr beweisen‘ haben sie mir mitgegeben – ich glaube auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen – zum Teil auch – Diskriminierungserfahrung.“ erklärt Tijen auf Social Media. Tijens Eltern kommen ursprünglich aus der Türkei und haben sich hier in Deutschland alles selbst aufgebaut und für ihre Tochter alles gegeben, damit sie es einfacher hat.
Tijens Traum war und ist es immer gewesen einen Platz am Entscheidungstisch nicht nur selbst zu besetzen, sondern auch weitere Plätze für Menschen mit Migrationsgeschichte bereitzustellen. Der Soziologe Pierre Bourdieu würde Tijen vermutlich jubelnd zustimmen. Er prägte den Begriff des sogenannten „sozialen Habitus“. Der Habitus legt fest, was ein Mensch sich zutraut, welche Wahrnehmungskategorien man besitzt und welches Verhalten so selbstverständlich ist, dass man nicht darüber nachdenkt. Die Unterschiede der verschiedenen Habitus‘ ist abhängig von dem sozialen Umfeld einer Person und zeigt sich in der Art sich zu kleiden, zu sprechen, aber auch in unterschiedlichen Lebenszielen. Dadurch verinnerlichen Menschen diverse Glaubenssätze, wodurch Personen aus Arbeiter*Innenfamilien weniger ambitioniert sind ein Studium zu beginnen als jene, die durch ihr Umfeld bereits akademisch vorgeprägt sind. Das verleiht der sozialen Ordnung zwar eine enorme Stabilität, andererseits bedeutet es auch, dass die Lebensführung durch die Sichtbarkeit von anderen erfolgreichen Nicht-Akademiker*innenkindern wie u.a. Tijen langfristig verändert werden kann. Inwiefern man eine diversere soziale Herkunft sogar positiv nutzen kann, erklärt Sirka Laudon, Head of People Experience bei AXA, im Artikel Soziale Herkunft: Wie du dir deine zunutze machst und Unternehmen davon profitieren.
SOZIALE HERKUNFT
Unser Fokus liegt im Februar darauf, Menschen mit Migrationsgeschichte und aus sozial schwachen Verhältnissen eine Bühne zu geben. Dazu gehört ihnen Mut zuzusprechen und Inspiration zu geben Unternehmen zu gründen und an sich zu glauben. Aber auch das eigene Bewusstsein für Diskriminierung und Rassismus zu schärfen. Uns selbst daran zu erinnern Rassismus kritischer zu denken und zu leben, denn „Wir alle werden von klein auf rassistisch sozialisiert. Und unsere Aufgabe ist es, dies Schritt für Schritt wieder zu entfernen.“ – Tupoka Ogette
GEMEINSAMER WEG NACH OBEN
Niemand, der sich nicht selbst die soziale Leiter hochgekämpft hat, kann die Situation und die Probleme von Aufsteiger*innen nachfühlen. Umso wichtiger sind die Sichtbarmachung und die Zusammenarbeit, soziale Unterschiede zu verringern. Denn: gemeinsam ist man immer stärker als allein. Jede Person, die will, soll unabhängig von der sozialen Herkunft eine faire Chance bekommen, aufzusteigen.