Daniela Gerd tom Markotten ist seit September 2021 Vorständin für Digitalisierung und Technik bei der Deutschen Bahn. Sie hat Wirtschaftsingenieurswesen in Karlsruhe studiert und anschließend in Freiburg promoviert. Ihre berufliche Laufbahn startete sie bei der Daimler AG, wo sie verschiedene Positionen innehatte. Anschließend war sie CEO der Mobilitätsplattform Moovel und hat 2020 ein Start-up für Remote Support gegründet. Seit ihrem Wechsel in den Vorstand der Deutschen Bahn ist sie dort verantwortlich für Digitalisierung und Technik. Das umfasst unter anderem Forschung und Entwicklung, die Fahrzeuginstandhaltung, die IT, aber auch den Einsatz Künstlicher Intelligenz.
Tijen Onaran ist Unternehmerin, Investorin, Bestseller-Autorin, Podcasterin und eine der wichtigsten Meinungsmacherinnen Deutschlands, wenn es um Diversität, Sichtbarkeit und Digitalisierung geht. Als Gründerin und CEO der Unternehmen Global Digital Women und der Diversity-Beratung ACI hat sie die beiden führenden Beratungsunternehmen im Bereich Diversität gegründet und mit dem Digital Female Leader Award den bedeutendsten Award für weibliche digitale Nachwuchs- und Führungskräfte ins Leben gerufen.
Liebe Daniela, liebe Tijen, auch wenn ihr beiden sehr unterschiedliche Karrierewege gegangen seid, habt ihr doch einige Gemeinsamkeiten: Ihr beide habt Gründungserfahrung, seid beide in Führungsrollen und beschäftigt euch mit Innovation und Digitalisierung. Was bewegt euch derzeit am meisten?
Daniela: Das sind vor allem die Dinge, die uns gerade alle bewegen und vor denen man die Augen nicht verschließen kann: Angefangen beim Klimawandel und dem Ukraine-Krieg über steigende Energiepreise bis hin zum Fachkräftemangel. Das sind riesengroße Themen, die uns herausfordern, für die wir Lösungen brauchen – die aber keiner von uns allein lösen kann. Mein Ansatz ist deshalb: Wir fangen bei uns an. Denn auch unser Beitrag zählt. Was mich dabei am meisten bewegt, ist die die Geschwindigkeit. In meiner neuen Rolle im DB-Konzern hilft mir da eine wichtige Lektion aus meiner Start-up-Zeit. Man muss die Dinge zügig angehen, etwas ausprobieren und im Zweifel auch verwerfen, wenn es nicht funktioniert. Ich glaube, dass es angesichts der großen Herausforderungen heißen muss: zupacken und loslegen.
Tijen: Da kann ich nur ergänzen: Ich nehme es auch so wahr, dass wir in einer Welt der permanenten Überforderung leben. Ob es darum geht, mit den großen Krisen umzugehen, die weltweit auf uns einprasseln, ob es darum geht, dass unsere Demokratie in Gefahr ist und dass es nicht mehr reicht, sie als Selbstverständnis hinzunehmen, oder ob es darum geht, dass Unternehmen, die neu gegründet werden oder – das sehe ich häufig in der Start-up-Szene – vor der Herausforderung stehen, eine neue Finanzierung zu finden.
Aus meiner Perspektive heraus, glaube ich, dass die Antwort auf viele dieser Fragen Diversität ist. Nicht nur, weil Diversität dazu führt, dass Teams innovativer sind, sondern gerade im Kontext von Krisen Diversität vor diesen auch schützt und auf sie gut vorbereitet. Denn durch die verschiedenen Perspektiven, die mit am Tisch sitzen, geht man automatisch die verschiedensten Szenarien durch. Daher lautet jetzt die Antwort mehr denn je, dass wir unser Hauptaugenmerk egal in welcher Branche, welcher Industrie auf Umfelder legen müssen, in denen Vielfalt gefördert und gelebt wird, aber vor allem auch aktiv gestaltet wird.
Die Verknüpfung der beiden Themen Innovation und Diversität, die du gerade angesprochen hast, ist eine weitere Gemeinsamkeit zwischen euch beiden. Daniela, eines deiner zentralen Anliegen ist es, die Innovationskultur zu fördern. Welche Rolle spielt Diversität für dich dabei?
Daniela: Eine gravierende. Kulturelle Vielfalt schafft, genau wie Tijen es gesagt hat, unterschiedliche Perspektiven, Impulse und Inspiration. Etwa durch Aspekte, die ich mit meiner kulturellen Prägung, gar nicht in Betracht gezogen hätte. Ich habe bislang immer in einem globalen Kontext gearbeitet und weiß das aus eigener Erfahrung sehr zu schätzen. Diese Inspirationen und Impulse sind nicht nur eine echte Bereicherung, sondern führen auch zu besseren Ergebnissen. Ich habe oft gedacht: „Darauf wäre ich selbst gar nicht gekommen. “
Gerade wenn wir über Komplexität sprechen, ist es wichtig, verschiedene Perspektiven auf ein Thema zu bekommen und unterschiedliche Sichtweisen zu integrieren. Dabei habe ich einen ganz persönlichen Treiber: Unsere Kund:innen. Es geht darum, sie für die Bahn zu begeistern. Diesem Anspruch will ich mit meinem Team gerecht werden. Durch kulturelle Vielfalt kann ich die verschiedenen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden immer besser verstehen.
Dafür brauchen wir aber auch neue Lösungswege. Wenn wir über Innovation reden, gilt das insbesondere im IT-, Digital- und Technikbereich. Nur ein Beispiel: Wir haben vor kurzem ein „Zukunftsbudget“ eingeführt. Das Geld in die Mitte des Tisches gelegt und gefragt: „Wer hat gute Ideen?“ Wir waren überwältigt, wie viele Ideen da zusammenkamen. Mit solchen integrativen Projekten macht man sich auch für neue Kolleg:innen attraktiv und strahlt in die Innovations- und Technik-Community aus.
Sich attraktiv machen ist ein gutes Stichwort. Denn eine letzte „Gemeinsamkeit“ ergibt sich – wenn auch unfreiwillig – daraus, dass derzeit bei allen Unternehmen der Fachkräftemangel angekommen ist und Antworten darauf gefunden werden müssen. Was würdet ihr sagen, zeichnet den*die Arbeitgeber*in der Zukunft aus?
Tijen: Dadurch, dass wir mit ACI-Consulting und Global Digital Women sehr nah an verschiedensten Unternehmen dran sind, weil wir im Fall von GDW Veranstaltungen organisieren und die weibliche Zielgruppe zusammenbringen und im Fall ACI ganz konkret Diversity-Consulting machen, haben wir hier sehr spannende Einblicke. Dabei bin ich davon überzeugt, dass den*die Arbeitgeber*in der Zukunft ausmacht, sich nicht nur für Diversität einzusetzen, sondern einen Schritt weiterzugehen und Inklusion zu leben. Denn es bringt nichts, eine Frau in den Vorstand zu setzen und dann davon auszugehen, dass sich damit a.) die Quote erfüllt und b.), dass es dann eine diverse oder inklusive Organisation wird.
Diversity und Inklusion leben von einer wertschätzenden Unternehmenskultur. Das geht weit darüber hinaus, nur eine Quote zu erfüllen oder irgendwelche Häkchen hinter Zahlen, Daten, Fakten oder KPIs zu setzen. Als Arbeitgeber*in muss ich eine Kultur der Wertschätzung schaffen, sodass jede Identität, die es im Unternehmen gibt, sich auch wohlfühlt und auch nicht infrage gestellt wird. Das muss sich dann auch durch jegliche Diversity-Dimension ziehen, jegliche Altersgruppe und jeglichen Background ziehen. Auf der einen Seite nach außen hin, um die Menschen zu erreichen, die man erreichen möchte und vor allem auch diejenigen, die einen als Arbeitgeberin noch nicht auf dem Zettel hatten. Und auf der anderen Seite ist da das Thema Retention. Das heißt, sobald die Menschen einmal im Unternehmen sind, dann auch zu halten. Das ist eine der größten Herausforderungen derzeit. Denn wir leben in einer Welt voller Möglichkeiten, in der junge, aber auch erfahrene Talente aus einem Blumenstrauß an Möglichkeiten und Chancen wählen können. Das ist zwar einerseits sehr positiv, aber das bedeutet für Unternehmen, dass sie mehr denn je dazu angeleitet sind, sich selbst als Arbeitgeber so attraktiv zu machen, damit die Talente nicht nach sechs Monaten sagen: Es war zwar sehr nett, aber ich gehe jetzt wieder. Das sehen wir über alle Branchen und Unternehmen hinweg. Da können wir nochmal kurz zum Anfang zurückgehen: In einer Welt der permanenten Überforderung und Komplexität ist es wichtig, den Menschen das Gefühl, dass ihr Arbeitsplatz nicht nur sicher ist, sondern sie die Möglichkeit haben, mit- und weiterzuwachsen.
Daniela: Ich würde gern daran anknüpfen: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich heute im Grunde aussuchen, für wen sie arbeiten und das ist für uns als Arbeitgeberin eine große Herausforderung. Der viel beschworene Purpose liegt bei der DB ja auf der Hand. Das ist übrigens auch der Grund, aus dem ich dabei bin: Ich möchte bei einem Unternehmen arbeiten, das einen wertvollen Beitrag für den Klimaschutz und die Gesellschaft leistet. Und das treibt viele unsere Bewerberinnen und Bewerber um (und auch an), aber natürlich auch die Mitarbeitenden. Schon kurz nach meinem Wechsel ist mir die große Leidenschaft aufgefallen, die in der Belegschaft zu spüren ist.
Was aber braucht es noch, um ein*e attraktiver*r Arbeitgeber*in zu sein? Viele wünschen sich ein modernes Arbeitsumfeld mit modernen Arbeitsmitteln. Aus meiner Sicht gehört dazu heute ganz klar auch das Thema Work-Life-Balance und Flexibilität bei Homeoffice und Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit. Diese Dinge sind notwendig, damit Bewerber*innen nicht nur kommen, um dann wieder zu gehen, sondern bleiben. Wichtig sind Themen wie Empowerment. Wie können Mitarbeiter:innen ihren Wirkungskreis vergrößern, um einen echten Beitrag zu leisten und werden sie dabei von ihrer Führungskraft unterstützt? Das bringt übrigens auch uns als Führungskräfte in eine ganz andere Rolle.
Insbesondere der Bereich Technik und Digitalisierung steht im Fokus, wenn es darum geht, Diversität zu fördern. Unter anderem aufgrund dieser Verknüpfung hat die DB in diesem Jahr auch den DFLA als Host unterstützt. Was würdet ihr beide sagen, was sind die wichtigsten konkreten Schritte im Bereich Leadership, um die Diversität im IT- und Technik-Bereich zu fördern?
Aus meiner Sicht können wir noch einiges tun, um attraktiver für ausländische Kolleginnen und Kollegen zu werden. Wir beschäftigen bei der Deutschen Bahn Menschen aus mehr als hundert Kulturkreisen. Bevor ich mir überlege, was all diese Menschen brauchen, ist es doch viel geschickter, sie direkt anzusprechen. Ich hatte kürzlich einen Lunch mit Kolleginnen und Kollegen – alle mit einem internationalen Hintergrund. Das war sehr spannend: Vermisst werden nicht nur Ausschreibungen und Onboarding-Prozesse in englischer Sprache. Sondern zum Beispiel sind auch Dokumentationen ausschließlich auf Deutsch eine echte Hürde für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus dem Ausland zu uns nach Deutschland kommen wollen. Das sind Beispiele dafür, wo wir unbedingt nachlegen müssen. Nun habe ich das Glück, dass der Technik-Bereich in meiner Verantwortung liegt. Darum gilt auch hier mein Credo: Wir fangen bei uns an und werden das jetzt sukzessive ändern.
Tijen: Das, was du sagst, Daniela, ist ein super wichtiger Bereich. Denn hier gehen wir wieder einen Schritt weiter in Richtung Inklusion. Es reicht eben nicht zu sagen, wir wollen kulturelle Vielfalt haben, und dann setzt man eine Person, die einen anderen Background hat in ein Team, ohne sich zu überlegen, wie das Setting ist, welche Sprachkenntnisse gebraucht werden und was kann das Team tun, damit sich diese Personen wohlfühlt? Das sehen wir auch in der Beratung bei Unternehmen und ist eine der größten Herausforderungen in puncto Leadership. Wir gehen oft einfach davon aus, dass die Führungskräfte dieser Welt alles können und auch alles wissen müssen. Wenn wir aber über Diversität reden, stelle ich immer wieder fest: a.) das vielleicht klingt seltsam, aber Führungskräfte sind auch nur Menschen, und b.) sie wissen eben nicht alles. Diversität ist, zumindest im deutschsprachigen Raum, etwas, womit wir uns erst seit den letzten zehn Jahren sehr intensiv beschäftigen und fragen: Welche Implikationen hat das für eine Organisation? Warum ist es so wichtig, dass wir auch als Unternehmen wettbewerbsfähig sind und deswegen diverser aufstellen? Auch für Führungskräfte ist das ein neues Feld. Darum kann man nicht immer davon ausgehen, dass alle wissen, worum es ganz konkret bei Vielfalt geht. An der Oberfläche, ja. Inzwischen haben die meisten gehört und verstanden, dass Vielfalt uns besser macht. Aber wenn es um konkrete Maßnahme zur Implementierung geht, oder was „inclusive Leadership“ eigentlich wirklich bedeutet, was hat es mit den unbewussten, respektive den bewussten Vorurteilen zu tun? Bei solchen Fragestellungen wird häufig davon ausgegangen, dass Führungskräfte alles wissen und alles können. Da sehen wir in der Beratung, dass das definitiv nicht der Fall ist. Wir müssen den Führungskräften darum zugestehen, dass auch sie lernen und dass auch sie Fehler machen dürfen im Bereich Diversity. Und hier kann ich nur dazu raten, ein bisschen mehr Leichtigkeit an den Tag zu legen und anstatt der permanenten Zeigefingerpolitik, das wäre meines Erachtens für Unternehmen extrem wichtig.
Daniela: Ich glaube, dieser Bias ist vielen Führungskräfte gar nicht bewusst. Sie sagen und tun bestimmte Dinge aufgrund ihrer kulturellen Prägung und sind überzeugt, dass sie doch alle gleich behandeln.
Tijen: Ja, ganz genau.
Was genau zeichnet für euch beide ein gutes, zukunftsfähiges Konzept von Leadership aus? Und wie setzt ihr dies ganz persönlich um?
Daniela: Für mich ist es das Führen auf Augenhöhe. Auch als Vorständin ist das jeden Tag eine neue Herausforderung. Viele Mitarbeiter*innen antizipieren automatisch eine Hierarchie. Darum muss man immer wieder betonen, dass zwei Menschen miteinander reden und die Argumente zählen und nicht die hierarchische Herkunft. Daneben ist für mich wieder das Thema Empowerment entscheidend. Mir geht es darum, die Mitarbeiter*innen zu befähigen und zu ermutigen. Denn auch hier haben wir wieder eine Art Bias: man hätte ja alle gefragt, aber es wollten wieder nur die üblichen Verdächtigen. Wir müssen auch diejenigen ermutigen, die vielleicht nicht extrovertiert sind und laut auf sich aufmerksam machen. Daran arbeite ich gemeinsam mit meinem Führungskreis. Wir definieren: Was sind unsere Werte? Wie wollen wir führen? Wo liegen Prioritäten? Aber auch: Was unterscheidet uns im Führungsteam? Und was wollen wir zukünftig, ab morgen, anders machen? Ich glaube, dass diese Form des Austauschs am Ende der kritische Erfolgsfaktor von Unternehmen sein wird. Denn Unternehmen bestehen aus Menschen. Erfolg misst sich auch daran, wie wir miteinander umgehen und wie Führung gelebt wird.
Eine Sache muss ich unbedingt ergänzen: Sichtbarkeit schaffen. Ich habe beispielsweise direkt am Anfang einen Frauenstammtisch gegründet, vierteljährlich treffe ich Frauen aus meinem Bereich. Das hat zu mehr Resonanz geführt, als ich erwartet hätte. Und hat mir einmal mehr gezeigt wie wichtig es ist, Sichtbarkeit zu schaffen und Kolleg:innen in die erste Reihe zu schieben, die sich sonst eher im Hintergrund halten. Meine Erfahrung ist, dass gerade diejenigen das sehr gut machen – selbst, wenn ihnen dabei ein wenig die Knie schlottern.
Tijen: Für mich ganz persönlich bedeutet Leadership – und das ist eine Erkenntnis, die ich ehrlicherweise über die letzten Jahre hinweg gewachsen ist –, dass ich in einem Team bin, das definitiv viel besser und schlauer ist, als ich. Wenn ich als Führungskraft die schlauste Person in meinem Unternehmen oder in meinem Team bin, dann mache ich definitiv etwas falsch. Ich umgebe mich darum gerne mit Leuten, die im besten Fall schlauer sind, andere Perspektiven haben, aber vor allem andere Erfahrungen mitbringen als ich selbst. Ich brauche nicht mit der Kopie meiner selbst da sitzen. Damit wird zwar vieles einfacher, aber ich werde dadurch nicht besser.
Leadership ist für mich die Erkenntnis, dass man nicht alles kann, nicht alles weiß und nicht auf alles eine Antwort hat. Ich finde, dass wir hier alle ein bisschen geduldiger mit den Führungskräften sein müssen. Wir gehen immer davon aus, sei es in Unternehmen oder ganz allgemein in der Gesellschaft, dass diejenigen, die eine Leadership-Rolle einnehmen, den Weg vorgeben, dass sie alles wissen und dass daran auch nicht gerüttelt wird. Das hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Heute sagen wir vielmehr, dass wir gemeinsam in einem Team sind, dass es Teamentscheidungen gibt, dass es Leute im Team gibt, die besser als ich selbst sind und mehr können und wir am Ende gemeinsam entscheiden, in welche Richtung es geht. Klar braucht es noch diese eine Person, die am Ende die Verantwortung übernimmt. Zu sagen, dass diese Person auch alles wissen oder können muss, ist nicht mehr zeitgemäß. Für Führungskräfte bedeutet das aber auch, dass sie lernen müssen zu teilen. Sprich: Erfolge zu teilen, aber auch den einen oder anderen Misserfolg zu teilen. Das ist natürlich eine Herausforderung. Umso wichtiger ist es, diese Erkenntnis zu haben, dass man nicht perfekt ist. Dann kann man nämlich im nächsten Schritt sagen, dass es meine Aufgabe und meine Verantwortung als Führungskraft ist, einen Rahmen zu bilden, in dem Wertschätzung vorherrscht, in dem Menschen sich wohlfühlen und so sein können, wie sie sein wollen, damit sie gut performen können, aber vor allem einen guten Job und dabei Spaß haben.
Tijen, du sagst, dass sich dein Verständnis für Führungskultur in den letzten Jahren auch verändert hat. Daniela, du hast in sehr unterschiedlichen Unternehmen Erfahrung gesammelt – vom Start-up bis zum Konzern –hat sich dein Verständnis von Leadership dabei verändert?
Daniela: Ja hat es durchaus! (lacht) Ich glaube, das ist genau die Veränderungsbereitschaft, die es braucht, um sich selber auf eine Lernreise zu begeben. Wenn ich zurückschaue: Meine erste Führungsaufgabe hatte ich in einem doch recht traditionellen Werksumfeld mit sehr erfahrenen Mitarbeitern. Damals habe ich hierarchisch geführt. Ich war der Meinung, dass ich mir noch Respekt verschaffen muss, aber auch deshalb, weil ich dachte, das ‚macht man halt so‘. Das mache ich heute ganz bewusst anders. Wie gesagt, geht es mir heute um Führung auf Augenhöhe. Ich glaube, all das ist einfacher, wenn man es persönlich erlebt hat. Was macht es eigentlich mit Menschen und auch mit dem Erfolg eines Unternehmens, wenn man mit Druck und Misstrauen führt? Und welches Menschenbild wird damit zum Ausdruck gebracht? Ich kann stattdessen auch das Team beflügeln, indem ich jedem Einzelnen Eigenverantwortung gebe und wir gemeinsam ambitionierte Ziele verfolgen. Es macht nicht nur mehr Spaß, sondern auch die Erfolge stellen sich viel zuverlässiger ein. Daraus entsteht dann auch ein toller Teamspirit. Man unterstützt sich gegenseitig da, wo man selbst vielleicht nicht so stark ist – und erhält am Ende wirklich tolle Ergebnisse.
Ihr beschäftigt euch beide aus unterschiedlichen Perspektiven mit Veränderungen, Change, Innovation, Arbeits- und Führungskultur – welche Rolle spielt Führungskultur dabei?
Tijen: Aus meiner Sicht eine ganz entscheidende. Entweder öffnet Leadership die Tür zur Veränderung oder verschließt sie. Das kennen wir von Menschen, die beratungs- und veränderungsresistent sind. Daran scheitern oft Veränderungs- und Transformationsprozesse in Unternehmen. Ich sehe das vor allem im Bereich Diversity, was ja nur einer von vielen Transformationsbereichen ist. Dann sage ich immer zu den Führungskräften, auf die ich dabei treffe, dass es zwei Optionen gibt: Entweder man setzt sich an die Spitze von Veränderung oder man wird mit- respektive weg-verändert. Ich hätte selbst als Führungskraft immer den Anspruch, Agenda-Setter zu sein. Das versetzt mich dazu in die Lage, die Dinge in der Geschwindigkeit und der Form mit zu verändern, die zu mir passt und mit der ich mich wohlfühle. Darum sollten sich Führungskräfte gegenüber der Veränderung nicht nur nicht verschließen, sondern sie aktiv mitgestalten.
Daniela: Ich glaube das Führungsbild, ein starker Leader geht voran und alle anderen folgen, wird den Herausforderungen dieser komplexen Welt nicht gerecht und ist kritisch für den Unternehmenserfolg. Du hast das auf den Punkt gebracht, Tijen. Denn Führungskräfte haben häufig den Irrglauben, traditionellen Rollenbildern entsprechen zu müssen. Bei mir war das auch so. Ich kam aus einem Start-up und wurde dann Vorständin bei der DB. Natürlich habe ich mich da auch gefragt, ob ich mich jetzt anders verhalten muss. Aber mir ist schnell klar geworden, dass das für mich keinen Sinn macht. Interessant war, dass ein Annäherungsprozess auf beiden Seiten nötig war. Auch meine Mitarbeiter*innen und Führungskolleg*innen mussten das traditionelle Verständnis von Hierarchie hinter sich lassen.
Tijen: Daran möchte ich noch etwas ergänzen, weil ich deine Karriere so spannend finde: Ich finde, dass es Unternehmen nur guttut, wenn sie eine stärkere Durchlässigkeit zulassen, was bestimmte Karriereoptionen vor allem auch in puncto Führung betrifft. Leute von außen zu holen, die wie du einmal in der Start-up-Welt unterwegs waren oder die Erfahrung aus einer anderen Branche oder Industrie mitbringen, bringen eine ganz andere Perspektive mit als jemand, ohne das wertend zu meinen, der oder die schon lange in einem Umfeld unterwegs sind. Auch das braucht es natürlich, aber nicht nur. Vielfalt sollte sich auch in der Karrierevielfalt zeigen. In der Chance, die Möglichkeit zu haben, als jemand, der wie du in einem anderen Bereich unterwegs war, Vorständin bei der Deutschen Bahn zu werden. Dass man daran wächst, kann ich gut nachvollziehen und ich finde es toll, dass du kommunizierst, dass du damit gerungen hast. Genau das meine ich mit der Fähigkeit, sich auf Veränderung einzulassen. Das macht eine gute Führungskraft aus. Und, last but not least, heißt für mich gute Führung in diesen Zeiten nicht keine Führung, sondern im Gegenteil, wieder stärkere Führung zu haben, aber eine andere, als wir sie in den letzten Jahren hatten.
Auch konkrete Initiativen und Formate sind von Bedeutung, wenn es um die konkrete Gestaltung von Veränderung geht. Welche haben eurer Erfahrung nach dem größten Impact? Daniela, du hast passend dazu gerade ein neues Format ins Leben gerufen: den „International Lunch“, der am 01.11. startete. Worum handelt es sich dabei und was sind deine ersten Erfahrungen damit?
Daniela: Wir haben darüber schon kurz angesprochen. Mich bewegt die Frage: Wie können wir als DB für internationale Fachkräfte noch attraktiver werden? Dafür muss ich zuallererst verstehen, welche Bedürfnisse da sind. Und da ist es gut, mit denjenigen zu sprechen, die darüber etwas wissen. Beim ersten International Lunch waren 20 Kolleg*innen aus 19 Ländern mit ganz tollen und spannenden Lebensläufen dabei. Was mich gleichermaßen begeistert und bereichert hat, war die Atmosphäre des Zuhörens, den anderen verstehen zu wollen. Eine wichtige Botschaft war: Damit die Kolleginnen und Kollegen sich „zu Hause“ fühlen, ist es ihnen wichtig, auch ein Stück ihrer Kultur einbringen zu dürfen. Das fand ich einen spannenden Aspekt, auf den ich nicht sofort gekommen wäre. Wir brauchen mehr davon und ich werde diese Gespräche auf jeden Fall fortsetzen.
Was war der schlechteste Ratschlag, den ihr in letzter Zeit bekommen habt? Und was ist die wichtigste Botschaft, die ihr den Leser*innen gerne mitgeben würdet?
Tijen: Der schlechteste Rat, den ich bekommen habe und bis heute immer noch bekomme, lautet: „Du bist noch nicht soweit. Warte mal noch ein paar Jahre, dann kannst du das.“ Als ich ganz jung war, wurde mir immer gesagt, ich sei noch zu jung, um zu gründen oder Karriere zu machen. Zuletzt habe ich den Rat gehört, als ich vor vier Jahren entschlossen habe, in Start-ups zu investieren. Da wurde mir aus der VC-Szene gesagt, ich sei noch nicht soweit, weil ich noch zu wenig Ahnung habe, mein eigenes Unternehmen Cash-Flow-finanziert sei und ich selbst keine Investoren habe. Darum sei ich selbst auch nicht soweit, Business Angel zu werden. Das hat bei mir eigentlich immer den gegenteiligen Effekt. Für mich ist das die perfekte Motivation zu sagen: Jetzt erst recht. Dann heißt es, die Ärmel hochkrempeln und richtig einarbeiten. Die Leute, die mir das sagen, wissen es wahrscheinlich gar nicht, dass sie mir einen großen Gefallen tun und ich es als Motivationsschub sehe. Das hat letztlich dazu geführt, dass ich in zehn Start-ups investiert habe. Es sind zwar noch nicht hundert, aber immerhin schon mal zehn. Das ist schon mal eine ordentliche Menge und es ist mehr als weit. Das macht Spaß.
Daniela: Das ist eine tolle Reaktion, denn meine erste Idee wäre gewesen, schlechte Ratschläge einfach auszublenden. Aber sie als Motivation zu nutzen, ist natürlich noch besser. Der schlechteste Rat, den ich bekommen habe, lautet: „Mach doch mal ein bisschen langsamer, Daniela.“ Dazu kann ich dann immer nur sagen: „Das bin ich einfach nicht.“ Aber es gibt noch einen ganz anderen Grund: Die Welt dreht sich weiter in ihrer Geschwindigkeit und sie wartet auch nicht auf uns. Entweder wir bewegen uns mit ihr, dann haben wir es selbst in der Hand und können aktiv gestalten oder wir werden einfach mitgerissen. Denn auch der Klimawandel wartet ja nicht, wenn wir nichts tun. Deswegen ist mein Ratschlag: Auch bei Rückschlägen oder wenn mal etwas schiefgeht – dranbleiben und hartnäckig sein, denn dein Beitrag zählt und ist wichtig.
Tijen: Ganz toll gesagt und ein wunderbares Schlusswort.