Charisma: 3 Quick Wins von Katja Gatzweiler, Senior Talent Developer bei Clifford Chance
Manche Menschen füllen Räume, ohne auffällig gekleidet, groß oder laut sein. Sie füllen Räume durch ihre pure Anwesenheit. Mit Charisma. Aber was ist Charisma? Wer ist charismatisch? Haben charismatische Leader mehr Erfolg? Und wenn ja: Hat man’s – oder eben nicht? Wir haben Katja Gatzweiler, Charisma-Expertin, Beraterin und Senior Talent Developer bei Clifford Chance gefragt. “Charisma”, sagt sie, “kann man lernen”. Hier kommen ihre Erfahrungen und Quick Wins für mehr Charisma und Charismatic Leadership!
Katja, Du bist Charisma-Expertin und Coach: Was ist Charisma genau?
Es ist das Maximum einer positiven Ausstrahlung. Etwas, was Menschen auf einer irrationalen Ebene erreicht und die Emotion anspricht. Ohne aber das Inhaltliche aus den Augen zu lassen.
Viele Menschen bringen mit Charisma auch optische Merkmale in Verbindung.
Die allein machen aber noch kein Charisma aus: Beim Charisma geht es um eine gelungene Kombination aus dem richtigen Mindset, aus bestimmten Charaktereigenschaften, verbalen und non-verbalen Verhaltensweisen. Charisma ist nicht rein optisch. Keine einzelne Eigenschaft. Es ist ein gelungenes Set.
Was meinst Du mit dem „richtigen Mindset“?
Typisch bei charismatischen Menschen ist eine innere Stabilität. Eine gute mentale Balance. Sie sind im Kern mit positiven Gedanken und mit positiven Emotionen ausgestattet. Das ist etwas sehr Entscheidendes: Denn das eigene Denken, das eigene Fühlen haben einen unmittelbaren Einfluss auf unsere Mimik, unsere Gestik, die Stimme und die non-verbale Körpersprache. Deren Zusammenspiel ist noch expressiver als das gesprochene Wort allein.
Charisma entspringt also unserem inneren Kern. Welche Fragen können wir uns zum persönlichen Charisma-Check stellen?
Fragen, wie: Wie bewusst bin ich mir meiner Stärken? Was brauche ich, damit es mir gut geht? Was kann ich dafür tun, um ein gutes Körpergefühl zu haben? Wie bewerte ich bestimmte Ereignisse und welche Gedanken resultieren daraus?
Sagen wir, das Setting stimmt, der Kern ist fein: Worauf achtest Du noch als Charisma-Coach?
Ich reflektiere mit meinen Coachees zunächst, wo sie hinsichtlich typischer Kardinaleigenschaften des Charisma stehen und wo das Entwicklungspotential ist. Bringen Menschen eine gute positive innere Einstellung mit, kann im Coaching an einzelnen Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen und Techniken für mehr Charisma gearbeitet werden.
Welches Set an Eigenschaften bringen charismatische Menschen denn schon mit?
Ein Zusammenspiel aus mehreren Komponenten. Präsenz ist eine sogar sehr entscheidende. Sie lässt Menschen im Hier und Jetzt sein. Beobachtest Du charismatische Menschen, wird Dir auffallen, dass sie mit ihrer Aufmerksamkeit voll bei ihrem Gegenüber sind. Sie stellen Fragen, sie gehen auf das Gesagte ein. Sie haben ein hohes Maß an Empathie und Sensibilität im Umgang mit anderen Menschen. Und sie sind sehr wohlwollend. Das ist die soziale Seite.
Welche ist die andere Seite: Was kann man noch von charismatischen Menschen lernen?
Sie bringen auch eine toughe Komponente mit: Sie haben eine sehr starke, positive Autorität. Und das nicht unbedingt wegen ihrer Position, sondern wegen ihrer Persönlichkeit. Diese Autorität entsteht, weil sie eine Vision haben. Sie entsteht, weil sie eine klare Botschaft haben. Weil sie ein Thema haben, wofür sie brennen, was sie begeistert. Sie haben eine klare Ambition, einen klaren Auftrag und eine hohe Aussagekraft. Um es auf den Punkt zu bringen: Es ist das Zusammenspiel aus toughen Kompetenzen mit einer hohen Beziehungsintelligenz. Diese Kombination macht charismatische Menschen aus.
Klingt nach Leadership Skills. Ist es so? Ist Charisma wichtig im Skillset einer Führungskraft?
Die Charisma-Formel lautet: Klarheit, Aussagekraft, natürliche Autorität – verbunden mit Empathie für Menschen. Will man Menschen gewinnen, sie überzeugen, sie mitnehmen, ist Charisma von Vorteil. Man muss es nicht in jeder Situation anwenden. Es aber in bedeutsamen Situationen abrufen und einsetzen können. Das kann entscheidend sein. Die Frage lautet dann: Wie schaffe ich es – bezogen auf eine Situation, die es erfordert – sowohl diese Empathie und Sensibilität als auch diese Klarheit, diesen Fokus und diese Aussagekraft zu haben?
Okay, wie schaffen wir das? Wie können wir in der Interaktion mit anderen unser Charisma steigern? Was sind Deine 3 Quick Wins?
Es ist ein Strauß an Quick Wins! Nur, um drei zu nennen:
- Be present. Arbeite an Deiner eigenen Präsenz. Sei im Moment, bring Deine volle Aufmerksamkeit, zeig Interesse, stelle Fragen. Reduziere Deinen eigenen Redeanteil. Geh auf das ein, was der*die andere sagt. Hört sich banal an, aber: Die meisten Menschen sind gedanklich schon beim nächsten Gespräch oder schauen permanent aufs Handy. Es ist nicht entscheidend, wie lange Du mit jemanden sprichst. Es ist entscheidend, wie präsent Du in dem Gespräch bist.
- Sei klar in Deiner Kommunikation. Verzichte auf Weichmacher: Drück Dich klar aus. Verzichte auf „Eventuell“, „Manchmal“ oder „Könnte sein“. Verwende keinen Konjunktiv. Sag besser: „Ich werde…“ statt „Man sollte…“. Klare, toughe Kommunikation ist entscheidend.
- Spreche bewusst positiv. Beim Charisma geht es darum, bewusst positive Emotionen bei anderen zu erzeugen. Eine klare Kommunikation, die sich positiv fokussiert, kann – selbst in kritischen Situationen, selbst bei negativen Themen – eine gute Energie erzeugen. Und darauf kommt es an.
Würdest Du Olaf Scholz beraten: Auf welche Faktoren würdest Du besonders in Sachen Charisma eingehen?
Zum einen auf den Faktor Autorität: Ist es nur die Amtsautorität oder hat er tatsächlich diese personale, natürliche Autorität? Was ist seine Botschaft? Für was steht er wirklich? Wie authentisch ist das, was er kommuniziert? Ich würde mich auch auf seine Klarheit, Rhetorik und Überzeugungskraft fokussieren. Der andere Faktor ist die emotionale Komponente: Ich würde prüfen, wie stark er darin ist, Menschen zu erreichen. Ihre Sprache zu sprechen. Ist seine Rhetorik auch emotional – nicht nur sachlich? Wobei ich nicht pauschale To Dos formulieren möchte: Es kommt immer darauf an, was der oder die Einzelne vorhat. So auch Herr Scholz.
Welche*r Politiker*in ist in Deinen Augen ein Charismatic Leader?
Für mich war’s Barack Obama. Er hatte eine klare Vision und sendete klare Botschaften. Er war leidenschaftlich für das, was er als Ambition verfolgt hat. Gleichzeitig hatte er aber auch diese hohe zwischenmenschliche Kompetenz: Er bewies warmherziges Wohlwollen, Loyalität und Solidarität gegenüber Menschen – Bottom-up. Autorität allein ist viel zu kalt. Die Wärme macht das Charisma in der Kombination aus.
Barack Obama hatte viele Berater*innen für seine Marke. Er hatte eine extrem gute Redenschreiberin. Und obwohl er der US-Präsident mit den meisten Kriegstagen ist, war er in erster Linie der Präsident der Herzen. … lässt sich Charisma lernen?
Ja. Bis zu einem gewissen Maß schon. Wir haben alle das Potenzial, unser Charisma zu steigern. Aber es gibt aber Grenzen. Erwachsene Menschen sind in ihrer grundlegenden Persönlichkeitsstruktur schon relativ stabil. Was aber nicht heißt, dass sie nicht an bestimmten Charaktereigenschaften oder Verhaltensweisen arbeiten können. Menschen, die das schon in frühester Kindheit verinnerlicht haben, profitieren später: Sie können das Erlernte auf natürliche Weise einsetzen. Ich denke, das ist auch das Stichwort für Barack Obama: Natürlichkeit. Er hat nicht irgendetwas transportiert: Er hat seine Botschaft schon in höchstem Maße authentisch rübergebracht. Was er zeigte, war er. Was er lebte, war er. Das ist in der Summe das Entscheidende, um ein charismatischer Leader zu sein.
Gibt es auch eine Kehrseite der Medaille – kann man “zu charismatisch” sein? Wenn ja, was rätst Du in diesem Fall?
Ja, es gibt eine Kehrseite: Denn Charisma löst nicht nur Bewunderung aus, sondern auch Neid und Missgunst. Insbesondere im beruflichen Kontext – in Konkurrenzsituationen. Charismatische Menschen werden dann oft mit Widerständen konfrontiert. Und mit interner Politik. Das kann Kraft, Freude und Leidenschaft für den Job kosten. Ich rate in diesen Fällen, eine andere Sicht auf die Situation zu entwickeln. Exakt in solchen Situationen können wir bestimmte Charisma-Eigenschaften trainieren. Innere Stärke, Courage, rhetorisches und diplomatisches Geschick. Zum Charisma gehört auch Feingefühl. Man sollte sich bewusst werden, in welchen Situationen man es voll ausspielt und in welchen man sich lieber bewusst zurücknimmt. Und die Bühne aus diplomatischen Gründen anderen lässt.
Das ist hochinteressant, Katja. Vielen Dank. Wie lautet Dein Schlusswort?
Eine sehr wichtige Eigenschaft, die ich bei charismatischen Menschen feststelle, ist, dass sie andere glänzen lassen. Sie verstehen, dass es das stärkste Bedürfnis der menschlichen Natur ist, bedeutsam zu sein. Und genau diese Erkenntnis nutzen sie. Sie reden niemals nur von sich. Stattdessen stellen sie viele Fragen. Und sie geben anderen den Raum, über sich zu sprechen. Das ist es auch, was diese positive Emotion auslöst: Wenn wir anderen auch den Raum und die Bühne geben, kommen wir einem menschlichen Grundbedürfnis nach. Damit erscheinen wir in den Augen anderer als charismatisch.